In der Hitze der Stadt
eigentlich schon mehr als das.
Rolf Danner hob seine Hände, nahm sie mehrmals beschwichtigend hoch und runter. »Nur keine Angst«, redete er besänftigend auf die Jungen ein. »Es ist alles gut. Es tut mir leid.«
Prompt brachen auch beim Größeren alle Dämme, und er heulte wie ein Schlosshund.
»Ruhig, ruhig«, sprach Rolf Danner und fasste den verängstigten Jungen sacht am Oberarm. »Es tut mir doch leid. Ich wollte einfach wissen, ob Nino vielleicht …« Er hielt inne. »Na ja ...«
Aus dem Kleinen platzte es jetzt heraus. »Der Boss hat Mina geliebt. Er hat sie wirklich geliebt!«
»Ja, das scheint mir auch so.«
»Mit dieser Tanjahure hatte er ja nur Pech. Aber Mina war …«
»Welche Tanjahure?«
»Na, Tanja, die Serbenbraut. Die ist dem Boss dauernd hinterhergerannt.«
»Die Fotze wollte unbedingt mit ihm gehen«, sekundierte der andere Junge. »Hat immer Stress gemacht.«
»Aha«, sagte Danner. »Tanja also, hm.« Er legte seine Hand an den Mund, überlegte intensiv.
Der Große sagte irgendetwas, redete monoton, schnell.
Danner hörte nicht mehr. Er dachte nur an dieses Mädchen. Er dachte zurück an seine Gespräche mit ihr, was sie gesagt hatte. Wie sie es gesagt hatte. Er ließ die beiden gepeinigten Jungs links liegen, machte sich zügig auf den Weg.
Nun hatte er eine neue Spur. Eine glühend heiße Spur.
*
Marco Regazzoni war in die Sitzung von Schneider geplatzt. Er hatte behauptet zu wissen, wer den Mord begangen hatte. Und diese Erkenntnis wollte er seinen Freunden und dem Chef der Kriminalpolizei sofort darlegen. Kaum war er aber ins Zimmer im Spiegelhof gestürzt und hatte mit Fistelstimme behauptet, dass er Minas Mörder kenne, war ihm der Sauerstoff ausgegangen. Mit rotem Kopf und aufgerissenen Augen schnappte er nach Luft. Er musste sich bücken, stützte sich mit den Händen auf seinen Oberschenkeln auf. Bei jedem Atemzug ertönte ein Pfiff, wie der von der alten DB-Rangierlok, wenn sie am Bahnhof SBB einen liegen gebliebenen ICE wegschleppt.
Schneider fuhr sich mit den Fingern durch seine Haare. »Noch so ein Spinner«, entfuhr es ihm. Erneut wollte er ein Fenster aufreißen, erinnerte sich aber wieder an den Gestank des Verkehrs und die Hitze, die draußen noch drückender war, als hier drinnen. Doch er hielt es einfach nicht mehr aus. Er packte den Griff, krachte das Fenster auf. Er brauchte zwingend frische Luft.
Stefan Heinzmann legte empathisch seine Hand auf Regazzonis Schulter. »Was ist denn mit dir los, Marco?«
Dem war sogleich ein wenig unwohl. Solche Intimitäten hatte er nicht gern. Er richtete sich umständlich auf, der Hand des Wachtmeisters geschickt ausweichend.
Baumer saß da, nahm den »Professor« zur Kenntnis, aber schien in eigene Gedanken versunken – düstere Gedanken. Vor einem Moment noch hatte er den Türken Erin Azoglu im eigenen Kopf überführt geglaubt. Aber irgendein Puzzleteil war ihm entglitten. War der Türke es doch nicht? Hatte er etwas übersehen? Ja, Mina hatte ihm das doch immer gesagt, dass er etwas übersehen habe. Er marterte sich das Hirn.
Wer konnte denn überhaupt noch als Täter in Frage kommen? Wenn es nicht in der Familie war, gab es denn jemanden in der Nähe von Mina, der sie ermordet haben könnte? Er schaute hoch an die weiße Decke, kratzte sich unbewusst den Hals. Erste Stacheln waren schon wieder gesprossen, pieksten seine Fingerspitzen.
Regazzoni richtete sich endlich ganz auf, keuchte noch ein letztes Mal, dass es pfiff. Dann hatte er sich gefasst. »Also, meine Herren, wie Sie wissen …«, die Luft reichte ihm nicht, um einen ganzen Satz zu vollenden, »… ich bin Gerichtsmediziner.«
»Das wissen wir, Regazzoni«, drängelte Heinzmann. »Sag uns doch einfach, wer der Mörder ist?«
»Ich will es gar nicht wissen«, sprach ein erschöpfter Daniel Schneider zum Fenster hinaus. Sein Blick ging ins Geschäftshaus hinüber. An der dortigen Fassade hing seit neuem unter jedem Büro eine Klimaanlage. Alle zusammen röhrten jetzt wie Hirsche in der Brunftzeit. Schneider kannte das Geräusch dieser Tiere gut. Er hatte einen sehr guten Kumpel von der Pharmaindustrie. Von ihm war er einmal auf die Hochwildjagd mitgenommen worden. Sehnsüchtig lauschte er dem brummenden Ton.
»Azoglu war’s«, ließ sich Kommissar Baumer vernehmen.
»Ach Quatsch.« Das war Schneider.
»Ich nicht war. Mich niemand gesehen.« Azoglu lächelte verächtlich.
Ali mischte sich ein. »Ich nicht wissen, wer war.«
Heinzmann:
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