In der Hitze der Wüstensonne - Out of Sight
AJ. Sie konnte kaum hören, so wie ihr Herzschlag in den Ohren dröhnte.
Er lachte leise. »Angst hält die Sinne scharf.«
»Dann bin ich ein Rasiermesser.«
Das Lächeln erreichte seine Augen nicht ganz. Etwas anderes blitzte dort auf. Verärgerung? Schmerz? Mitgefühl? Es verschwand so schnell, wie es gekommen war. AJ verspürte den irrationalen Drang, ihn zu beruhigen. Blödsinnig. Er war der Mann aus Stahl. Sie widerstand dem Impuls, ließ die Hand aber in seiner. Nur für den Augenblick.
»Mut bedeutet, die Angst zu meistern«, erklärte Kane, das Lächeln war verschwunden. »Nicht etwa, keine zu haben. Sie haben dich hergeschickt, weil sie wissen, dass du bereit bist. Du kannst es. Vertrau deinem Training. Konzentrier dich und atme. Wir haben nur einen Versuch, auf das nächste Dach zu kommen, bevor sie hier oben sind. Fertig?«
»Das kannst du wetten.« Sie ließ sich von ihm auf die Füße ziehen. Die Stimmen wurden lauter. Sie liefen Seite an Seite. AJ hatte den Verdacht, dass Kane sie mitzog, und war ihm dankbar, weil er ihre Hand nicht losließ. Er war der Spielzeughase mit der Energizer-Batterie. Und sie brauchte jede Hilfe, die sie bekommen konnte. Sie flogen.
Die Männer hinter ihnen schrien einander auf Arabisch zu. AJ sprach nicht gut Arabisch, nur ein paar Worte. Aber sie nutzte die Stimmen, um den Standort der Verfolger zu bestimmen. Nah. Zu nah. Sobald sie auf dem Dach waren, würden die Männer zu feuern anfangen, und hier oben gab es kein Versteck. Das Dach war flach und endlos. Seine Schwärze verschmolz mit der Dunkelheit der Nacht.
Ihre Stiefel trampelten weiter über den klebrigen Untergrund, während sie die Umgebung nach einem Unterschlupf absuchte. Nichts. Nur das nächste Dach. Und das Nächste. Und das Nächste.
Der Blitz einer Feuerwaffe. Nicht einmal nah. Sie konnten sie nicht sehen. Nicht in diesen schwarzen Kleidern, und nicht vor dieser ungebrochenen Dunkelheit. Sie schossen
blind. AJ erwiderte das Feuer nicht. Das Mündungsfeuer hätte ihnen den exakten Standort verraten.
»Spring im Laufen ab und mach dich lang«, befahl Kane und ließ ihre Hand los.
»Ich bin bei dir. Lauf, lauf, lauf.« Sie hatten nicht die Zeit für Ladies first. Es hieß jeder für sich. Sie wusste das. Sie fingen gemeinsam zu laufen an, aber sein Schritt war länger. Und kräftiger. Und, verdammt nochmal, sicherer.
Wright sprang aufrecht im Laufen ab. Sie sah ihm aus dem Augenwinkel zu, wie er beinahe über die Schlucht schwebte und die viereinhalb Meter zwischen den beiden Häusern locker schaffte.
AJ ahmte jede seiner Bewegungen nach. Heiße Luft streifte ihr Gesicht, als sie abhob, die Beine im Spagat, der Oberkörper nach vorn gebeugt und die Arme wie Windmühlenflügel rudernd, um den Schwung zu halten. Sie schien ein ganzes Leben lang über dem gähnenden Abgrund zu hängen, bevor sie breitbeinig und unbeholfen auf der anderen Seite landete. In Sicherheit. Keine schöne Landung, wie sehr man die Phantasie auch bemühte, und sie war wirklich froh, dass Kane schon ein Stück weiter war und ihren Fuß nicht hatte wegknicken sehen. Aber eine schlechte Landung war immer noch besser als gar keine.
Ihr Herz pochte bis in die wüstentrockene Kehle. Sie duckte sich und folgte ihm über das Dach, der Atem in den Lungen sägend, ihr Herz panisch. Die heiße Luft drückte sich auf ihre schweißnasse Haut und hüllte sie wie ein dicker Kokon ein.
Plötzlich ließ ein scharfer Stich in die Seite sie fast vornüberfallen.
Nicht jetzt, um Himmels Willen. Nicht jetzt . AJ rannte neben ihm her und hielt sich die Seite, während der stechende Schmerz immer stärker wurde. Hatte sie heute nicht
schon genug vermasselt? Musste sie wirklich die Heulsuse geben und »Krampf« schreien? Von allen lachhaften Gründen, eine Kugel in den Rücken zu bekommen, ausgerechnet der? Es war so jämmerlich mädchenhaft , sie hätte am liebsten über sich selber gelacht.
Mist. Kein Wunder, dass Kane sie nach Hause schicken wollte. Sie konnte sich gleich wieder auf Schönheitswettbewerbe verlegen, wenn sie als Agentin nicht besser war als das hier.
AJ zog eine Grimasse, während sie versuchte, sich aufzurichten. Wenn schon in nichts anderem, so konnte sie zumindest in Geschwindigkeit mit ihm mithalten. Mit seinen ein Meter neunzig war er nur 12 Zentimeter größer als sie in Stiefeln. Trotz des grausamen Seitenstechens waren ihre Schritte fast so lang wie seine, als sie an den nächsten Sprung über eine Gasse
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