In der Kälte der Nacht
Bitte, rühren Sie mich
nicht an. Zwingen Sie mich nicht, mich auszuziehen. Ich werde reden, wenn Sie mir das versprechen.« Paul schrie ihm die Frage ins Gesicht. »Wer waren die Männer im Hubschrauber? Wenn du mit heilem Hintern aus der Sache herauskommen willst, dann rede!«
»Die beiden heißen Dawson und Klinger.«
»Insgesamt waren es drei.«
»Ich weiß nicht, wie der Pilot heißt.«
»Dawson und Klinger. Vornamen?«
»Leonard Dawson und...« »Der Leonard Dawson?«
»Ja. Und Ernst Klinger.«
»Ist Klinger ein Regierungsbeamter?«
»Er ist General des Heeres.«
»Handelt es sich bei dem Test um ein Projekt der Regierung?«
»Nein.«
»Um ein militärisches Testprogramm?«
»Nein.« Paul hatte erfahren, was er wissen wollte. Er hatte seine Fragen mit der Geschwindigkeit eines Maschinengewehrs gestellt. Trommelfeuer. Salsbury hatte jede Frage beantwortet, ohne auch nur eine einzige Sekunde zu zögern. Klinger duckte sich hinter die Büsche, die den Parkplatz des Rathauses von der Rasenfläche trennten. Erstaunt und beunruhigt beobachte er, wie die Männer die Frau auf der Bahre in den weißen Cadillac schoben. Er veränderte seinen Standort, so daß er die Beschriftung des Wagens erkennen konnte. BLACK RIVER - EMERGENCY. Rot auf weiß. Ein Krankenwagen. Das rote Blinklicht hatte zu zucken begonnen, und der Widerschein war wie ein Nest blutiger Vipern, die auseinanderkrochen, um die Blätter auf den Bäumen anzunagen. Der bärtige, weißhaarige Mann war Sam Edison. Klinger kannte ihn
von dem Foto, das er in der Bücherstube im ersten Stock über dem General Store entdeckt hatte. Er hörte, wie der Motor gestartet wurde. Der Cadillac bog auf die Main Street in östlicher Richtung ein. Parkplatz und Straße waren so weit entfernt, daß Klinger keinen sicheren Schuß mit seiner Webley hätte anbringen können. Als die Hecklichter des Cadillacs in der Dunkelheit verglüht waren, überquerte Klinger den leeren Parkplatz. Er betrat das Rathaus durch den Hintereingang. Wir haben die Kontrolle über den Ort verloren, dachte er. Eine Handvoll Männer hat uns das Heft aus der Hand gewunden. Alles war umsonst. Der Test, der große Plan, das ganze Projekt. Vorbei. Es war Zeit, den Staub von Black River von den Füßen zu schütteln. Er hatte einen falschen Paß, den Leonard Dawson ihm besorgt hatte. Er würde sich in ein anderes Land absetzen und von dem Geld leben, das Leonard als Vorauszahlung zur Verfügung gestellt hatte. Aber da gab es die andere Hälfte seines Ichs. Nicht aufgeben, sagte die andere Hälfte. Laß dich nicht in Panik hineintreiben. Warte ab. Du mußt das Problem aussitzen. Er warf einen Blick auf das Zifferblatt seiner Armbanduhr. Es war 23 Uhr 3. In der Ferne rumorte das Gewitter. Der Wind hatte wieder aufgefrischt. Es würde zu regnen beginnen. 23 Uhr 4. Er stand im Flur des Rathauses und starrte auf die blaßblau schimmernde Rasenfläche hinaus. Worauf warte ich? Er versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Er konnte keine Entscheidung treffen, wenn ihm keine Daten zur Verfügung standen. Spionage. Aufklärung. Information. Wahrscheinlich sind sie in Thorps Dienstzimmer, dachte er. Er beschloß, sich an der Außenfassade des Rathauses entlangzuschleichen und unter den Fenstern des Polizeibüros zu lauschen.
Wie in Korea, dachte er. Wie in Laos. Spähtrupp in Fein-desgbiet. Diesmal stand der Feind mitten in Amerika.
23 Uhr 5
Sam stand im Türrahmen. Sein Blick war auf Ogden Salsbury gerichtet, der zusammengesunken auf seinem Stuhl kauerte. Er wandte sich zu Paul. »Bist du sicher, daß er alles gesagt hat, was er weiß?«
»Ja.«
»Bist du auch sicher, daß er die Wahrheit gesagt hat?«
»Ja.«
»Es geht um Leben oder Tod für uns alle, das weißt du.«
»Er hat alles gesagt, was er weiß, und er hat mich nicht belogen. Ich bin ganz sicher.« Salsbury saß da und wimmerte. Sein Blick folgte Sam, der seinen Platz an der Tür verlassen hatte und in die Mitte des Raumes getreten war. Paul vermochte nicht zu ergründen, ob Salsbury überhaupt noch wahrnahm, was um ihn vorging. Er schien gebrochen, erschöpft, am Ende. Das Gefühl, sich auf die Ebene dieses Mannes herabgelassen zu haben, lag wie ein Alp auf Paul. Gefühl und Verstand waren im Widerstreit. Wieder und wieder sagte er sich vor, daß er gar keine andere Wahl gehabt hatte. Sie lebten im letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts. Wenn man als Individuum überleben wollte, mußte man nach den Regeln spielen, die von der
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