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In der Kälte der Nacht

In der Kälte der Nacht

Titel: In der Kälte der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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seinen Kopf hinwegpfiff. Er erschrak, als er sich schreien hörte. Merkwürdig, er konnte nicht aufhören zu schreien. Er stand da, starrte den Mann mit der Axt an, hielt die Waffe vor sich gestreckt. Er schoß. Die Kugel traf Dawson in die rechte Schulter. Die Axt krachte auf das Dach, sprang hoch wie ein Wurfholz, segelte über die Dachkante und zerschmetterte die Windschutzscheibe eines Sattelschleppers.
    Wie eine Puppe auf einer Spieluhr drehte sich Dawson. Seine Rechte bekam Pauls Jacke zu fassen. Die Waffe glitt zu Boden, rutschte über die Kante des Daches, und Paul hörte, wie sie auf dem Stahldach des Sattelschleppers aufkam. Dann verlor er den Boden unter den Füßen. Umschlungen, ein verbissen ringendes Paar, rollten die beiden Männer über das abschüssige Dach. Dann der Fall. Es war dunkel in der Glockenkammer. Aber die Umrisse des kleinen Mädchens waren klar zu erkennen. Sie war allein. Klinger verstand das nicht. Es war mehr, als er zu hoffen gewagt hatte. Das kleine Mädchen, allein. Gut so. Er würde sie einzeln abknallen. Ein merkwürdiges Geschöpf. Sie saß an die Wand gelehnt. Über ihr war der Sichtschlitz zu erkennen. Sie sah ihn an. Verachtung lag in ihrem Blick. Klinger ärgerte sich. Einmal gehörte es sich nicht, daß sie ihn so ansah. Und dann war es auch nicht richtig, daß man ihm mitten in der Nacht Rätsel aufgab. Hier oben gab es zwei Menschen zu töten, nicht nur einen. Die Plattform war zu klein für ein Versteckspiel, wie es Frauen liebten. Er beschloß, seinen Augen zu trauen. Wo eine Frau und ein Mädchen hätten sein müssen, war nur ein Mädchen. Der Donner kam wie der Faustschlag eines Riesen, und die Zinken des Blitzes waren spitz wie ein Stilett. Der Sturm rüttelte im Gebälk, ließ das Dach klagen und stöhnen wie ein Opfer bei der Inquisition. Klinger stand über dem Mädchen. Sie hob den Blick. Ihre Stimme zitterte. »Bitte... erschießen ... Sie... mich... nicht.«
    »Wo ist die andere?« fragte Klinger. »Sag mir, wo sie hingegangen ist.«
    »He, Mister«, sagte eine Stimme hinter ihm.
    Sie hatten ihn also doch kommen gehört. Sie hatten ihm aufgelauert. Beide. Die Frau hatte sich versteckt. Aber wo? Und wie? Er wußte, daß sein Spiel verloren war. Es gab keinen Ausweg mehr. Zorn, Bitterkeit, Erstaunen. Er wandte sich. Er würde ihnen die Stirn bieten, auch und gerade im Tode. Aber da stand niemand. Die Treppe. Die Wand. Nichts. Leere. Blitz und Donner. Er fuhr herum. Das Kind. Er war allein mit dem Kind. »He, Mister.« Er hob den Blick. Etwas wie eine Fledermaus schwebte über ihm. Die Frau. Jenny Edison. Er konnte ihr Gesicht nicht erkennen, aber er wußte, daß sie es war. Sie hatte ihn überlistet. Und er war sich so clever, so unheimlich geschickt vorgekommen. Sie hatte die Glocke erklommen, hielt die eherne Wandung umarmt, schwebte zwei Meter über der Plattform. Es ist jetzt siebenundzwanzig Jahre her, daß ich in Korea kämpfte, dachte er. Ich bin zu alt für solche Einsätze. Zu alt. Er konnte die Waffe nicht sehen, die sie auf ihn gerichtet hatte. Aber er wußte, daß die Mündung auf seine Stirn zielte. Er wußte, daß die Mündung seiner Stirn sehr nahe war. Und er wußte, daß Jenny Edison die Waffe entsichert hatte. Er nahm noch wahr, wie das Kleid des kleinen Mädchens zu rascheln begann. Die Kleine kroch aus der Schußlinie. »Gute Reise, Sie Ekel«, sagte Jenny Edison. Er war tot, noch ehe die Ohren das Geräusch des Schusses an das Gehirn hätten weitermelden können. Dawson landete auf dem Rücken. Etwas unter ihm zitterte. Und dann spürte Dawson, wie das Gewicht seines Gegners ihm die Luft aus den Lungen quetschte.
    Das Förderband vibrierte, bis das Gewicht der beiden Männer die mittlere Förderrolle passiert hatte. Es gelang Paul, den Kopf zu heben. Die Luke im Ofen war zu sehen. Ein Ball, gelb, orangerot, rot. Dreißig Meter hoch. Fünfundzwanzig. Dawson zuckte zusammen, als sich der Ellenbogen des Gegners in seine Schulter bohrte. Die Wunde. Er war noch benommen vom Fall. Wie ein Ertrinkender holte er Luft. Der Regen war ihm in die Nasenlöcher geronnen. Er blies wie ein Wal. Das Rumpeln des Laufwerks war lauter geworden, und Paul hörte, wie sich das Zittern der letzten Rollen ankündigte, ein ärgerliches, heftiges Geräusch, das in einem satten Klatschen seinen Höhepunkt finden würde, wenn das Band, von der Last befreit, talwärts schwang. Zwanzig Meter. Die Straße des Todes. Paul versuchte, sich vom Band zu rollen. Dawson hielt ihn

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