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In der Mitte des Lebens

Titel: In der Mitte des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot Käßmann
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oder Tage des Atemholens. Wir
     brauchen Zeiten des Rückzugs, ab der Mitte des Lebens noch mehr, um Kräfte zu sammeln, denke ich. Wir können lernen, mit uns allein zu sein und eine
     innere Balance zu finden. Aber Rückzug sollte eben keine Selbstisolation sein, sondern auch immer den Weg finden zurück in Gemeinschaft, in familiäre
     Beziehungen und Verpflichtungen, in Freundschaften, in berufliches oder ehrenamtliches Engagement. Alles andere wäre ein selbst gewählter Weg in die
     Einsamkeit, der nicht kreativ ist, sondern destruktiv.
    Was gut tut und was in die falsche Richtung geht, das ist für unterschiedliche Menschen sicher verschieden. Ich selbst habe Schritt für Schritt
     wahrgenommen, wie gut mir Phasen des Alleinseins tun. Das liegt sicher auch an der familiären Situation, die lange Jahre mein Leben absolut dominiert
     hat. Andere kennen das Alleinsein seit Langem, weil sie nicht in einer Ehe oder Partnerschaft leben oder keine Kinder haben. Deshalb: Auf die Balance
     kommt es an von Rückzug und Geselligkeit, von Individualität und Gemeinschaft. Doch niemand sollte je sagen müssen: »Ich habe keinen Menschen«. Das ist
     tieftraurig, finde ich …
    Deshalb wünsche ich mir auch so sehr, dass unsere Kirche Orte der Gemeinschaft bereitstellt, der Gemeinschaft ganzVerschiedener, die sich aber eben doch durch ihren Glauben verbunden wissen. Es kann dabei deutlich werden, dass die »Gemeinschaft der Heiligen« eine Gemeinschaft der Gebrochenen ist. Als Kirche sind wir eine Gemeinschaft der Heiligen: Als ich das kürzlich in einem Vortrag auf einem internationalen Kongress lutherischer Theologinnen und Theologen sagte, kam ein afrikanischer Bischof hinterher zu mir und sagte: »Aber wir müssen die fernhalten, die nicht heilig sind«. Und er erzählte mir, dass in seiner Kirche Witwen, Mütter unehelicher Kinder und menstruierende Frauen vom Abendmahl ausgeschlossen sind. Es entwickelte sich ein heftiger Dialog zwischen uns, denn ich denke, eine solche Haltung entspricht in keiner Weise dem, was Jesus gelebt und gelehrt hat. Er hat sich anrühren lassen von der blutflüssigen Frau, er hat Tischgemeinschaft mit Zöllnern gefeiert, er hat angesichts der drohenden Steinigung einer Ehebrecherin gesagt: »Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein«. Die Gemeinschaft um Jesus war eine »inklusive Gemeinschaft«, in der alle einen Platz hatten. Und wir werden bei der Taufe Teil dieser Gemeinschaft der Heiligen.
    Das ist keine Gemeinschaft von absolut perfekten Menschen – heilig sind nach Martin Luther vielmehr diejenigen, die wissen, dass sie ganz und gar auf Gott angewiesen sind. Mir ist das in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden: Es sind nicht die Perfekten, die Makellosen, die Gott in die Nachfolge ruft. Nein, von Anfang an sind das einfache Fischer und Hausfrauen und Zöllner und Huren. Es ist nicht gerade eine Elitetruppe, die beauftragt wird, die gute Nachricht von der Auferstehung weiterzugeben. Und das ist ja ganz offensichtlich auch heute noch so, davon kann ich als Bischöfin ein Lied singen. Gott beauftragt nicht immer die Fähigsten. Aber die Gott beauftragt, die befähigt er auch, darauf dürfen wir vertrauen. Und das ist doch eine gute und entlastende Nachricht für alle: Schließlich ist niemand makellos und perfekt – das wird uns ja auch immer klarer, je besser wir uns selbst kennen.
Aufbrüche wagen
    Ziehe fort aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus
    deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde! 45
    Die Midlife-Crisis ist ein geläufiger Ausdruck vor allem für Männer in der Lebensmitte, die in eine Krise kommen, in der sie
     oft nach der Orientierung auf Beruf und Status die Frage nach dem Sinn stellen, eine Phase, in der es häufig passiert, dass sie ihre gleichaltrigen
     Ehefrauen verlassen und mit oft wesentlich jüngeren Frauen als Lebenspartnerin einen Neuanfang suchen. Natürlich ist das auch ein Klischee – nicht jeder
     Mann erlebt eine solche Krise, viele Männer stehen treu zu ihrer Familie, viele sehen sich solch grundsätzlichen Anfragen gar nicht ausgesetzt. Aber kein
     Klischee kann entstehen ohne ein Phänomen, das den Grund dafür legt. Interessanterweise gibt es dazu schon in den Vätergeschichten der Bibel mit Abraham
     ein Vorbild. In der Auslegung eines Mannes zu dieser Geschichte, die ich vor einiger Zeit gehört habe, finde ich ungeheuer spannende Anregungen: Er hat
     das Weggehen als Chance dargestellt.

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