In der Mitte des Lebens
gestalten, Verantwortung im Beruf übernehmen,
selbstständig sind. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat für die Veränderung des Bildes von der Frau in der Mitte des Lebens langfristig mehr getan, als auf
den ersten Blick sichtbar ist. Sie ist nicht die »Frau an seiner Seite«, sondern die »Chefin« der Bundesregierung. Sie hat hohe Verantwortung, Kompetenz
und bleibt doch Frau. Ähnliches gilt sicher für Bundesfamilienministerin von der Leyen. Als Mutter von sieben Kindern – außergewöhnlich ohnehin – ist
sie außerdem beruflich erfolgreich, Spitzenpolitikerin auf Bundesebene … Die Berufstätigkeit hat Frauen verändert. Sicher, es gibt mehr Frauen, die im
Niedriglohnsektor arbeiten als an der Spitze der Regierung. Aber immerhin gibt es sie inzwischen auch an der Spitze. Natürlich ist die Berufstätigkeit
auch eine große Belastung,geht mit viel Leistungsdruck einher, der viele Frauen – wie eben auch die Männer – in der Mitte des Lebens
erschöpft. Aber Frauen sind auch unabhängiger geworden im Blick auf die eigene Altersversorgung durch die Berufstätigkeit; damit ist eine Unabhängigkeit
erreicht, wie sie keine Generation vor uns gekannt hat. Und Frauen zeigen auch eine Lust an der Verantwortung, eine Freude am Gestalten.
Nie waren Frauen selbstständiger als heute – zumindest in der westlichen Welt. Ich erlebe es so, dass viele Frauen in der Mitte des Lebens den Mut
haben, sehr genau hinzuschauen: Was ist mir wichtig, wie will ich leben, wenn ich weiß, dass meine Lebenszeit begrenzt ist? Was möchte ich erreichen, was
ist weniger »meins« als von anderen Übernommenes, über das ich bislang gar nicht nachgedacht habe? Hänge ich am Status oder liegt mir an meinem inneren
Frieden? Wohl auch deshalb reichen statistisch gesehen immer mehr Frauen die Scheidung ein. Sich diesen Fragen zu stellen, ist nicht leicht. Denn
vielleicht gehört dazu ja auch einzusehen, dass allzu lange ein Ist-Stand akzeptiert wurde, der nicht Lebensglück bedeutete …
Ich persönlich habe meine Scheidung als einen Punkt erlebt, der als Konsequenz unausweichlich geworden war; sonst hätte ich niemals den Mut dazu
gehabt. Aber ich habe die Phase der Veröffentlichung und der offenen Kritik bis hin zu Häme, Verachtung und Hass als schrecklich erlebt. Niemandem wünsche
ich eine solche Wucht an Meinungsbezeugungen derer, die vermeintlich wissen, wie es gut und richtig zu sein hat. Aber ich bereue diesen Schritt nicht, er
war für mich eine notwendige Klärung um der Wahrhaftigkeit willen, auch wenn er die Konvention verletzt und manche tief irritiert hat. Ich wäre ihn auch
um den Preis meines Amtes gegangen, zu dieser Klarheit war ich am Ende gekommen. Und gleichzeitig war mir bei allem immer bewusst: Lieber wäre ich
verheiratet geblieben! Da ging es mir nicht um ein Bild nach außen, wie manche es gefordert haben, sondern um meine eigene Lebenskonzeption, meine
Vorstellung von meinem Leben, die andiesem Punkt gescheitert ist. Eine lebenslange Ehe, bis dass der Tod sie scheidet, kann eine
wunderbare Lebensform sein und tut auch der Familie, ja der Gesellschaft als stabilisierender Faktor gut, wenn beide Beteiligten in ihr Segen finden.
Die Trennung einer Beziehung ist immer mit Trauer verbunden, mit der Empfindung von Verlust, die wir auch zulassen müssen. Eine Freundin, die sich
mitten in diesem Prozess befindet, schreibt mir, sie sei ziemlich stabil; aber da sei immer wieder diese tiefe Trauer um das, was sein könnte und sollte,
aber trotzdem einfach nicht lebbar ist … Trauer und Trennungsschmerz dürfen wir nicht verdrängen oder leugnen. Aber es gibt auch neue Anfänge! Bin ich
offen dafür, dass Neues sich ereignet in meinem Leben? Das ist gewiss auch eine Frage der inneren Haltung. Gerade die schmerzhafte Leere kann den Weg zu
neuen Möglichkeiten eröffnen, neuen Beziehungen, beruflichen Neuanfängen, der Entdeckung von neuen Seiten in mir. Dazu gehört, dass ich es wage, meine
Möglichkeiten auszuprobieren – und dann vielleicht erlebe, dass ich Theater spielen kann oder im Fitnessstudio Spaß an Pilates habe, oder gern im
Literaturkreis dabei bin oder die Tafel für Kinder mitorganisiere. Oder eine neue Beziehung tritt in mein Leben, ich lasse mich auf einen neuen Menschen
ein, will die Zukunft mit ihm teilen. Das Alte zurücklassen, die Trauer zulassen, sie aber nicht die Oberhand gewinnen lassen und dann den Neuanfang
wagen: Darum geht es.
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