In der Mitte des Lebens
Documenta in Kassel und in die Ausstellung vertieft, als mich eine Journalistin auf
dem Handy anrief und ziemlich direkt fragte, ob es einen »neuen Mann in meinem Leben« gebe? Ich war ziemlich perplex und sagte wahrheitsgemäß: »Nein!«
Daraufhin sagte sie: »Wie wollen Sie denn dann alt werden?« – Da ich kurz zuvor aus New York zurückgekommen war, wo ich drei wunderbare Tage mit zwei
amerikanischen Freundinnen verbracht hatte, sagte ich spontan: »Wahrscheinlich in einer Frauen-WG in New York.« Dieser Satz wurde danach immer wieder
zitiert. Inzwischen kann ich darüber lachen. Warum eigentlich nicht? Vielleicht wird es so sein. Lange Jahre habe ich gedacht, in einer Ehe alt zu werden;
aber warum nun keine Frauen-WG? Ich finde diese Vorstellung gar nicht abwegig – es steckt in ihr eine ausgewogene Mischung aus Nähe und Distanz.
Vorstellen kann ich mir aber zum Beispiel auch, in einem Haus in Hannover zu leben, andere Frauen in umliegenden Wohnungen, mit denen ich manches
teile, Kino und Kummer, Kaffee und die Kanarischen Inseln als Urlaubsort. Jedenfalls finde ich großartig, dass es solche Vorstellungen vom gemeinsamen
Altwerden gibt, die nicht als zweitklassig betrachtet werden, sondern als kreative Möglichkeiten, das Eigene zu bewahren und – in aller Freundschaft –
Gemeinsames zu wagen und zu gestalten. Vielleicht werde ich auch in einer neuen Beziehung zu einem Mann leben, die offene Türen kennt, die das Miteinander
feiern kann. Überraschungen sind immer möglich, aber ich finde gut, offen zu sein für alternative Formen.
Für gemeinsame Perspektiven im Alter mit Freundinnen und Freunden ist es nötig, die Freundschaften auch zu pflegen. Zeit zu investieren ist wichtig,
gemeinsame Zeiten planen, Feste feiern, zusammen eine Ausstellung besuchen, einen Kurzurlaub miteinander verbringen. Wir müssen oft aufholen und einander
auf denStand bringen, was sich im Leben ereignet – oft bleibt im Alltag gar keine Zeit, das zu erzählen. Freundschaften brauchen Hege
und Pflege. Je älter wir werden, desto besser begreifen wir das. Desto mehr wissen wir wirkliche Freundschaft auch zu schätzen und was wir aneinander
haben. Das kann in so mancher Lebensphase weit tragen.
40 1. Mose/Genesis 24,67.
41 Vgl. die Studie »Männer in Bewegung – 10 Jahre Männerentwicklung in Deutschland«, die
der Düsseldorfer Sozialwissenschaftler Rainer Volz und der Wiener Pastoraltheologe und -soziologe Prof. Dr. Paul Michael Zulehner im Auftrag der
Gemeinschaft der Katholischen Männer Deutschlands (GKMD) und der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) durchgeführt haben.
42 Lukas 24,10.
43 Zu diesem Film habe ich eine besondere Verbindung, weil mein Vater ihn sehr mochte und
meine beiden älteren Schwestern und ich in Anspielung darauf öfter als die »drei Mädels von der Tankstelle« bezeichnet wurden.
Das Eigene suchen
Eine Balance finden in der Mitte zwischen dem Alleinsein und den Grenzen, die ich erlebe, und der Suche nach neuen Anfängen und
Aufbrüchen, das ist bewegend. Alleinsein meint ja nicht Einsamkeit, sondern vor allem dies: bei mir selbst zu sein und die Zeit mit mir selbst gut
verbringen zu können. Das Alleinsein birgt die Chance, mich selbst zu finden, mich immer besser kennenzulernen. Aus dem Alleinsein kann Kraft entstehen –
auch für neue Anfänge, die den Mut brauchen, aufzubrechen, nicht nur am Bisherigen festzuhalten, sondern loszulassen, zu springen, zu spüren, dass die
Luft trägt, und dann neues Terrain zu entdecken.
Alleinsein lernen
… Ich habe keinen Menschen. 44
Einsamkeit gilt in unserer Gesellschaft als Problem. Und das ist sie in vielen Fällen sicher auch. Zwar scheinen alle beinahe
ununterbrochen zu kommunizieren – wir rufen schnell mal an, schreiben die SMS oder eben noch die Email –, aber gleichzeitig breitet sich eine
Beziehungslosigkeit aus, die deprimieren kann. Die vielen Kontaktmöglichkeiten und die große Flexibilität machen es offenbar schwer, sich festzulegen –
selbst für einen Abend oder eine feste Verabredung. Lieber alle Möglichkeiten offenhalten, eskönnte ja noch etwas Besseres kommen! Und
manchmal kommt dann gar nichts. Wer allein lebt, muss nicht einsam sein, aber es gibt viele einsame Menschen.
Dabei machen die neuen Kommunikationsmedien Formen des Gesprächs möglich, die es früher nicht gab und die zu einem tiefen Austausch über Lebensfragen
führen können, ich bin da nicht
Weitere Kostenlose Bücher