In der Mitte des Lebens
berufstätig, viele ehrenamtlich engagiert, viele aktiv und fröhlich mitten im Leben. Sie sind für Bestätigung nicht
allein auf die Kinder angewiesen, haben Erfolg oder erfahren Unabhängigkeit. Das macht gelassen. Doch diese »Gelassenheit« löst unterschiedliche
Assoziationen aus. Die Fotografin, die das Bild für dieses Buch gemacht hat, schrieb mir in einer Mail ihre Gedanken zu verschiedenen Titelüberlegungen,
die wir hatten: »Ich freue mich sehr, dass mein liebstes Bild von Ihnen auch der Buchtitel wird. … Eine ›50‹ (im Titel) finde ich überflüssig und
abgenutzt. Außerdem haben die Alterszahlen nur in Deutschland diese merkwürdige Bedeutung. In Amerika wird nicht nach Alter klassifiziert. Die Mitte des
Lebens kann auch eine 40 sein. ›Gelassen älter werden‹ mag ich auch nicht. Habe ich schon tausend Mal gehört und dann ist dieser Spruch für mich nur so
eine theoretische Schutzbehauptung. Denn ich werde nicht gelassen älter. Den einzigen Reichtum, den ich beim Älterwerden erfahre, ist die sehr bewusste
größere Intensität. Es kommt gar nicht mehr so darauf an, dass ich unendlich viel erlebe, sondern immer mehr, wie ich was erlebe.«
Sie hat gesagt, ich darf das zitieren. Und ich kann ihr nur zustimmen. Ich finde auch: Gerade sie, Monika Lawrenz, strahlt als Fotografin diese Gelassenheit aus. Und auch ich an mir selbst stelle etwas fest, das ich eben Gelassenheit nenne. Das ist nicht eigentlich das Älterwerden, das ja nun auch nicht grundsätzlich wunderbar ist. Sondern es ist eine größere Ruhe, als ich sie früher hatte. Ich denke, du wirst schlicht sicherer im Leben, in dem, was du sagst und empfindest. Vielleicht traue ich mich auch mehr, mich auf meine Empfindungen und Wahrnehmungen zu verlassen, mir selbst zu vertrauen und mich weniger vom Urteil anderer abhängig zu machen. Das ist sicher ein Ergebnis von Lebenserfahrung und kommt also mit dem Älterwerden …
Und ich bin auch gelassener geworden, was die Einsicht betrifft: Die eigene Lebenserfahrung kann nicht Maßstab für die nachfolgende Generation
sein. Wie sehr haben Mütter und Väter, Onkel und Tanten, Lehrerinnen und Lehrer versucht, Kindern ihre Erfahrung weiterzugeben! Das kann hilfreich sein –
und doch muss jeder Mensch seine Erfahrungen letzten Endes selbst machen. Die angestrengten Versuche von Eltern, das Leben ihrer Kinder so zu
beeinflussen, wie sie es für das Beste oder einfach für »richtig« halten, sind oft unsinnig. Die nachwachsende Generation wird ihren eigenen Weg
finden. Manches aus unserer Erfahrung können wir ihnen sagen und mitgeben, aber bestimmen werden sie die Zukunft. Und ihre Erfahrungen werden sie in die
Mitte des Lebens tragen.
In ihrem Buch »Reifeprüfung« 48 hat Petra Gerster auf sehr nachdenkliche Weise beschrieben, wie sich in der
Mitte des Lebens die Perspektive auch ändern kann: »Gerade um die fünfzig herum schärft sich sogar der Blick für die Menschen, die uns gut tun, denn die
Erfahrungen haben uns sicherer gemacht in unserem Urteil über andere und uns selbst. Wir wissen, was wir erwarten und selber zu geben bereit sind. Oder
wir sind kühn genug, uns auch ohne ein solches Wissen auf jemanden einzulassen – einfach um seiner selbst willen, weil uns dieser Mensch fasziniert.« 49 So ist das: Einerseits wissen wir, wer wir sind und mit wem zusammen wir unsereZeit,
restliche Zeit vielleicht, auf jeden Fall kostbare Zeit, verbringen wollen. Andererseits sind wir unserer selbst sicherer und haben den Mut, ab und an ein
Wagnis einzugehen, uns auf jemanden einzulassen aus einer ganz anderen Welt, einem ganz anderen Zusammenhang. Wenn mir jemand neu begegnet und ich erlebe,
dass bei allen Verschiedenheiten, die unterschiedliche Wege mit sich bringen, eine innere Nähe möglich ist, ein geistiger Austausch, freue ich mich an
dieser Übereinstimmung, an dem kreativen Schwung, den eine solche Begegnung mit sich bringt, an der Entdeckung des Eigenen im anderen. Das erweitert immer
unseren Horizont. Ich denke, Petra Gerster hat recht – wir können »kühn« sein und uns einlassen auch auf Unbekanntes, wenn wir wissen, wo wir stehen in
der Mitte des Lebens. Es braucht inneres Gleichgewicht und Gelassenheit, damit ich mich einlassen kann auf Neues.
Innere Stille finden
Gott war nicht im Sturm 50
Der Prophet Elia, von dem die Bibel erzählt, ist das, was wir eine Kämpfernatur nennen! Auch zu seiner Zeit nicht gerade ein
Sympathieträger
Weitere Kostenlose Bücher