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In der Mitte des Lebens

Titel: In der Mitte des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margot Käßmann
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übrigens, eher ein Querkopf, ein Mann, der sein Innenleben nicht preisgibt; er bleibt ein Fremder. Als eine Art »wilder Nomade« wird er
     beschrieben, mit langhaarigem Fellmantel. Er hat wahrhaftig gewütet für seinen Gott, ist angetreten zur Verteidigung des rechten Glaubens. Elia hat Wunder
     gewirkt und Zeichen für die Macht Gottes gesetzt, als Mann Gottes ist er anerkannt. 51 Eine Figur, die zu
     betrachten äußerst spannend ist in der Mitte des Lebens. Er zeigt sich verletzlich, ist nahe dran, zu resignieren und alles hinzuwerfen – und
     gleichzeitig ist er geradezu unbeirrbar, was seine Ziele und Hoffnungen betrifft. Eine Episode seiner Geschichte will ich ausführlicher darstellen:
    Elias besonderer Kampf gilt dem Baalskult, der in Israel Einzug gehalten hatte, er hat geradezu gewütet – 450 Priester Baals haben
     durch ihn den Tod gefunden. Der König Ahab hatte eine Anhängerin dieses Kults geheiratet, Prinzessin Isebel, um den Frieden mit den umliegenden Nationen
     zu wahren, und Isebel brachte ihren Glauben an den phönizischen Gott Melkart mit, der als Baal (»Herr«) bezeichnet wird. Elia, Prophet Jahwes, des Gottes
     Israels, erlebt schließlich einen großen Triumph: Er kann König Ahab überzeugen, dass der Abfall vom Gott Israels ins Unglück führt, und das Volk hat
     endlich den Gott Israels als seinen wahren Gott erkannt. So endet Kapitel 18.
    Aber jetzt: Die mächtige Königin Isebel gibt sich nicht geschlagen und sagt ihm erneut den Kampf an – schließlich hat Elia die Propheten ihres
     Glaubens getötet. Elia seinerseits ist erschöpft nach dem Kampf, am Ende, ausgebrannt, er kann nicht mehr. Viele kennen in der Mitte des Lebens solche
     Erschöpfung. Die beruflichen Anforderungen nehmen überhand, die notwendigen Kleinigkeiten des Alltags – einkaufen, putzen, Rechnungen bezahlen – werden
     übergroß und scheinen kaum bewältigbar. Auch ich kenne solche Phasen. Dann klicke ich mich durch die kommenden drei Wochen in meinem Kalender und denke:
     Wie sollst du das schaffen? Wann willst du das vorbereiten? Und daneben der andere Film: Ich müsste zur Reinigung, die Steuererklärung muss gemacht
     werden, und das Päckchen an meine Mutter ist immer noch nicht abgeschickt. Dann ist alles zu viel, und eigentlich möchtest du dich nur noch ins Bett legen
     und die Decke über den Kopf ziehen. Auch Elia geht es so. Er will nicht weiter. In der biblischen Geschichte kommt ein Engel zu ihm, bringt ihm Brot und
     Wasser und sagt: »Steh auf und iss, dein Weg ist weit.«
    Und Elia isst, steht auf, und geht. 40 Tage lang. Und er kommt an den Horeb. Gemeint ist der Berg Sinai, der Gottesberg. Von dort her kommt Gott seinem
     Volk in auswegloser Lage zu Hilfe, immer wieder in der Geschichte Israels. Was hat Elia eigentlich solche Angst gemacht? Mit Isebel und den Baalpriestern
     mussteer doch schon länger fertig werden! Ist es vielleicht die Erkenntnis: »Ich bin nicht besser als meine Väter?« Was aber wäre das
     auch für eine Selbstüberschätzung, besser zu sein als alle vor ihm: Abraham, Mose, Isaak, Jakob? Eine Anmaßung, falls er das gedacht hat – aber
     vielleicht die Anmaßung jeder nachkommenden Generation? Doch Gott, so sagt es der Volksmund, wird am Ende der Tage nicht fragen, warum wir nicht waren wie
     unsere Väter und Mütter im Glauben, sondern warum wir unsere eigenen Möglichkeiten nicht ausgeschöpft und das Beste aus unserem Leben gemacht haben.
    Am Berg angekommen, zieht Elia sich in eine Höhle zurück. Aber Gott lässt seinen Propheten nicht schlafen, sondern fragt: »Was willst du hier?« Das klingt fast vorwurfsvoll … Und Elia singt sein Klagelied, fast trotzig, vorwurfsvoll seinerseits gegenüber Gott hört sich das an. Alle seien vom Glauben abgefallen, nur er allein sei übrig. Elia übertreibt hier, er überzieht maßlos. Wenige Verse später wird es ja heißen, dass siebentausend Israeliten vor Baal nicht in die Knie gingen. Aber solche Übertreibung ist menschlich. »Ich habe Angst, ich werde verfolgt, die anderen sind im Unrecht!« Und dann sehe ich nur noch mich, und ich bin ganz allein. Da ist Einsamkeit verknüpft mit Selbstüberschätzung: Ich, der einzige Gerechte … Indem Gott Elia alsbald anweist, Elischa als seinen Nachfolger zu salben, befreit er ihn auch von seiner verzweifelten Selbstwahrnehmung. Er muss kein einsamer Einzelkämpfer sein, sondern kann sich wieder einreihen in die Geschichte Gottes mit den Menschen.
    Gott fordert nun Elia

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