In der Mitte des Lebens
auf, die Höhle zu verlassen. Das ist eine wichtige Wendung. Gott hört Elias Klage und seine Verzagtheit. Aber ein Prophet in einer Höhle ist kein Prophet mehr. Er mag sich sicher fühlen – aber er kann seine Aufgabe nicht wahrnehmen, er verliert seine Identität. Und dann kommt jene so berühmte Passage, die Episode, auf die alles zuläuft: Entsetzlicher Sturm, Erdbeben und Feuer kommen in den Berg. Sie sind Zeichen der Macht und Gegenwart Gottes – genau mit diesen Zeichen wird aber auchBaal identifiziert, und Elia hat in seiner Auseinandersetzung mit den Baalsleuten gerade versucht zu beweisen, dass der Gott Israels in dieser Hinsicht stärker ist als Baal, dass er nicht nur konkurrenzfähig, sondern überlegen ist! Aber jetzt hier am Gottesberg, auf dem Elia allein ist, zeigt sich etwas ganz anderes: Gott ist nicht einfach ein stärkerer Konkurrent Baals. Gott ist anders – und lässt sich nicht in den mächtigen Naturerscheinungen, in diesem ganzen Getöse finden. »Ich bin, der ich bin«, »Ich werde sein, der ich sein werde«, sagt Gottes Name. Gott lässt sich nicht in unsere Vorstellungen pressen.
Erst als die Stille kommt, ein »sanftes Säuseln«, erkennt Elia, dass Gott da ist. Er verlässt die Höhle mit verhülltem Gesicht, jetzt kann er sich Gott stellen, Gott begegnen, kann hören. Bis an diese Stelle war Elias Bild von Gott ziemlich martialisch: Er hat für einen Kämpfergott gekämpft. Nun lernt Elia, das Schwache auch in sich zu sehen. Sich anzusehen mit all den Schwächen. Er lernt Demut. Und er lernt, dass Gott ganz anders sein könnte als in unseren Vorstellungen. Nicht der Gewaltige, sondern das Sanfte.
Wie ist das mit der Stille? Mir ist wichtig, dass die Geschichte nicht einfach erzählt: Gott ist in der Stille. Deutlich wird: Es muss erst einmal still werden, damit wir Gott hören können. In unserer Zeit wird es selten genug still. Alles ist laut, wir lassen uns ununterbrochen beschallen. Weil ständig irgendetwas piepst und klingelt, imitieren inzwischen angeblich bereits Singvögel die Handy-Klingeltöne – und singen lauter, um die Menschen-Geräusche zu übertönen. Viele Menschen kennen gar keine Stille mehr und wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Überall ist es laut, überall wird geredet oder ein Geräusch gemacht, die Welt dreht sich so schnell und die Veränderungen sind so rapide, dass wir uns selbst zu verlieren drohen. Oder anders ausgedrückt: Unsere Seele kann nicht Schritt halten. Die Seele vieler ist so oft erschöpft und verletzt, vielleicht auch einfach vernachlässigt. Seelsorge braucht unsere Zeit. Das schöne Lied aus Taizé kann den Anfang machen: Schweige und höre, neige deines Herzens Ohr, sucheden Frieden . Ja, wer schweigt und hört, kann Frieden finden für die Seele. Stille ist wirklich not-wendig geworden. Nur wer Stille findet, kann hören lernen. Ohne in die Stille zu gehen, laufen wir vor uns selbst und vor Gott weg. Wir lassen uns ablenken durch Gags und Gackern. Wer freitagabends fernsieht, könnte meinen, das ganze Leben sei ein einziger Witz. Eine der traurigsten Statistiken unseres Landes ist für mich die: Ein 75-jähriger Deutscher hat durchschnittlich neun Jahre vor dem Fernsehgerät verbracht. Wie soll er oder sie da noch Gott hören? In welchem Programm wäre Gott denn zu finden?
Elia nimmt ein Säuseln wahr, eine leichte Bewegung. Einen Hauch, zart, sanft. Nehmen wir solche leisen Töne überhaupt noch wahr? Für mich ist Stille
wichtig geworden. Gerade wo immer mehr Druck entsteht, Rollenerwartungen mich einengen, der Alltag von Terminen durchgetaktet ist, Manuskriptabgabetermine
drängen, Besprechungen meine Konzentration fordern, brauche ich Abstand, Stille, Ruhe. Wir verlieren uns selbst, wenn wir solche Ruhephasen nicht mehr
finden. Und mit Ruhe meine ich nicht die Beruhigungspille, die die innere Ruhelosigkeit betäubt, sondern ein Kraftschöpfen aus den Tiefen der Stille. Ich
erlebe an mir selbst, dass ich nach einer Phase der Stille wieder im Gleichgewicht bin und mich neu auch Konflikten stellen kann, nach vorn gehe, die
Auseinandersetzung wage. Ohne solche Stille fehlt mir der Ausgangspunkt, die Bodenhaftung für das Standbein, das die Balance möglich macht.
Gerade, wer beruflich eingespannt ist, wird bei aller Freude am Gestalten diese Sehnsucht nach Ausgleich durch einen Rückzug spüren. Aber nicht nur die
Erwerbstätigkeit schlaucht – auch wer vom Alltag, von den eigenen Erwartungen und denen
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