In der Mitte des Lebens
dahin in liebevoller Freundschaft,
deine Margot
Zur Beerdigung konnte ich nicht fahren, aber als ich später einmal in Genf war, hat mir Jans Frau sein Grab gezeigt. Ich habe ihn als
Freund oft vermisst und bin dankbar, dass wir so offen auch über sein Sterben sprechen konnten. Unsere Freundschaft war für mich Teil meiner Geschichte
mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen. Für die Erfahrung dort, Christinnen und Christen über Grenzen hinweg international zu begegnen, bin ich meiner
Kirche tief dankbar. Sie hat meinen theologischen, geistlichen und menschlichen Horizont um Vieles erweitert.
53 Psalm 143,6.
54 Martin Honecker, Einführung in die theologische Ethik, S. 364.
55 Vgl. ebd., S. 517.
56 Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, 1970, S. 426.
57 Wilfried Härle, Dogmatik, S. 56, (BKSL 560, 22ff.)
58 Der nachstehende Brief ist eine leicht redigierte Fassung von: »an einen Freund aus der
Ökumene.«, in: Eigentlich ein Liebesbrief, hg. v. Klaus Möllering, 2002.
Lebenslust entdecken
Manchmal empfinde ich auch mit fünfzig eine unbändige Lust am Leben. Dann beneide ich die Jüngeren nicht, weil ich die Freiheit und
auch die Lebenserfahrung habe, den schönen Tag besonders zu genießen. Auch das lässt sich in der Mitte des Lebens lernen: dem Verlorenen nicht
nachtrauern, das Misslungene annehmen, das Fragmentarische unseres Lebens aufgehoben wissen bei Gott. Ich schaue gern zurück und ohne Angst nach vorn. So
eine Lebenshaltung lässt sich nicht täglich hervorrufen, aber es tut gut, sie zu empfinden, weil sie das Gleichgewicht gibt, die Mitte zu gestalten. Und
doch kenne ich eben auch die Angst, die Belastung, die Sehnsucht nach Zuversicht und Nähe …
Nach einem Vortrag begann eine ältere Dame das Gespräch mit mir mit der Bemerkung, sie habe sich lange überlegt, wie sie mir das Folgende sagen
solle. Und: Sie wolle mir sagen – ich sei für sie ein Kleinod unserer Kirche! Kritik hatte ich erwartet nach der Vorbemerkung, und dann so ein Satz. Der
tut gut für längere Zeit! Aber auch unabhängiger von solcher Bestätigung zu sein, eigene Grenzen sehen, zugeben, dass etwas misslungen ist und mit
Offenheit und Dankbarkeit annehmen, was eben möglich ist, um Orte und Menschen wissen, wo ich zuhause bin, für das selbstverständlich Gelingende dankbar
sein, das kleine Glück im Alltag genießen – das gehört für mich zur Lebenslust.
Heimat finden
Er kam nach Nazaret, wo er aufgewachsen war.
Nach seiner Gewohnheit ging er am Sabbat in die Synagoge 59
Der erwachsene Jesus beginnt die Zeit seiner öffentlichen Wirksamkeit; die Versuchung in der Wüste liegt hinter ihm, er hat mit dem
Lehren begonnen. Damit stößt er auf, wie wir heute sagen würden, »positive Resonanz«. Was treibt ihn nun nach Nazareth? Wollte er schlicht seine Eltern
besuchen? Oder ob er doch testen wollte, wie es Zuhause ankommt, was er tut und redet? Auf jeden Fall geht er nach Nazareth in die Synagoge und beginnt
dort, die Tora auszulegen.
»Ist das nicht der Sohn von Josef?« Das ist doch so ein typischer Satz, den wir kennen, wenn wir erwachsen geworden sind: Ist das nicht die Kleine von Heinrich Müller? Und ist der nicht einer aus der Schmidtfamilie?
Was aber dieser Bibeltext besonders zeigt, ist die Beheimatung Jesu im jüdischen Glauben. Jesus war Jude. In der Synagoge, bei der Auslegung der Schrift fühlte er sich zu Hause. Das müssen wir immer wieder ernstnehmen, wenn wir dazu neigen, Jesus als Christen zu vereinnahmen …
Jesus kannte sich aus in der Synagoge. Das war nichts Fremdes, dort war er mit seinem Glauben beheimatet. Wir überlegen heute in den Kirchen ja oft, wie unsere christlichen Gemeinden Menschen beheimaten können. Das wäre für mich ein Ziel: dass Menschen wissen, dass jemand sie willkommen heißt und das Brot mit ihnen bricht, dass es einen gibt, der »eine zweite Meile«, ein weiteres Stück Weg mit ihnen gehen will.
»Nach Hause kommen«, das hat darüber hinaus aber auch eine eschatologische Dimension, die über dieses Leben hinausgeht. Ich weiß, wohin ich gehöre, in einem ganz existenziellen Sinn. Letzte Beheimatung, das ist nicht die Heimat in Nazareth oder Hannover oder Berlin oder New York oder Peking. Die Heimat, nach derJesus sucht, die der Ort der Sehnsucht der Menschheit ist, das ist die Beheimatung bei Gott. Jesus erfährt, dass er in Nazareth, seinem Heimatort, nicht wohlgelitten ist. Seine Bemerkung dazu ist nicht Arroganz nach dem Motto:
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