In der Oase
Ruderer flussaufwärts ruderten. Die Fürsten standen auf und stellten sich dicht nebeneinander an die Reling. Der Lärm nahm zu, wurde zu einem stetigen Gebrüll, und auf einmal sah Kamose Menschen das Ostufer des Flusses säumen, die winkten und ihnen Willkommensgrüße entgegenschrien und Blumen warfen. Die Medjai antworteten mit ihrem lauten Gruß, schrien zurück und tanzten begeistert auf dem Deck. Kamose hob den Arm und dankte ihnen für ihre wilde Huldigung, und da wurde der Lärm noch lauter.
Als das königliche Schiff zu dem Kanal kam, der zu Amuns Tempel führte, sah Kamose, dass auch die Priester zusammengelaufen waren, ihre losen weißen Gewänder bauschten sich und strahlten in der hellen Sonne. Sie schwiegen, doch als Kamoses Boot auf ihre Höhe kam, fielen sie wie ein Mann mit ausgestreckten Armen auf die Knie und drückten die Stirn in den Staub. Ahmose holte tief Luft. »Ich hatte gedacht, unser Sieg wäre Wirklichkeit für mich«, sagte er beinahe flüsternd in dem andauernden Krach, »aber mir ist, als hätte ich bis zu diesem Augenblick geträumt. Wir haben es geschafft. Kamose, wir haben es geschafft!«
Kamose gab keine Antwort. Wir haben es nicht geschafft, Ahmose, dachte er klar und kalt. Wie ein kundiger Feldscher haben wir den Wundbrand begrenzt, aber er kann sich noch immer ausbreiten. Ach, warum empfinde ich nichts? Ich esse und schlafe und atme, aber innen drin bin ich tot.
Die Menge war verschwunden und das dichte Ufergebüsch zwischen der Stadtgrenze und seinem eigenen Anwesen glitt vorbei. Kamose spannte sich an. Auf einmal wollte er sich hinkauern, die Augen verdecken, weil er die Blicke seiner Familie nicht ertrug. Panik ergriff ihn. Jetzt kamen sie an den mächtigen Ruinen des alten Palastes vorbei, der in zerfallener Pracht hinter seinen bröckelnden Mauern in der Sonne briet. Seine Bootstreppe kam in Sicht, sie schimmerte, als das Wasser daran plätscherte, oben der gepflasterte Anleger und der kurze Pfad, der zwischen den Bäumen verschwand, und dahinter das weitläufige Haus.
Sie waren alle da, seine Verwandten, und hinter ihnen drängte sich das Gesinde und alle, ausgenommen seine Großmutter und Ramoses Mutter Nofre-Sachuru, lächelten bänglich, während Perücken und Leinen in der Brise flatterten. Aahmes-nofretari stemmte sich von einem Stuhl hoch, auf dem sie gesessen hatte. Ihr Hemdkleid spannte über ihrem schwangeren, hohen, gewölbten Leib. Auf einen Befehl vom Kapitän hin wurde ein Tau ans Ufer geworfen und die Laufplanke ausgelegt. Sie waren daheim.
Doch Kamose konnte sich nicht bewegen. Er stand wie festgewachsen auf dem Deck, während Anchmahor und die Getreuen des Königs die Laufplanke hinuntergingen, die Bootstreppe hoch und dabei eine schützende Gasse bildeten, durch die er gehen musste. Ahmose berührte seinen Arm. »Kamose, wir können jetzt von Bord gehen«, flüsterte er. »Warum wartest du? Stimmt etwas nicht?« Kamose konnte nicht antworten. Panik breitete sich in seinem Hirn aus. Ich will nicht hier sein, dachte er. Das ist der Schoß, aus dem ich bereits gekrochen bin. Das ist ein Land der Träume, aus denen ich vielleicht nie wieder aufwache. »Kamose!«, sagte Ahmose scharf, und in diesem Augenblick kam Behek die Bootstreppe heruntergesprungen und verspritzte einen Tropfenschauer. Mit einem Satz war er auf der Laufplanke, rutschte aus, fasste wieder Fuß und stürzte sich auf seinen Herrn. Kamose spürte eine kalte Nase in seiner Hand und blickte auf einmal in die leuchtenden braunen Augen seines Hundes. Der Bann wich. Er bückte sich und streichelte den weichen Kopf, dann richtete er sich auf und brachte seine Beine dazu, den Weg über die Laufplanke und auf das heiße Pflaster zu machen. Behek heftete sich entzückt an seine Fersen.
Weiche Arme umfingen ihn. Duftendes Haar streichelte seine Wange, seinen Hals. Gemurmel und Willkommensrufe allüberall. Mit halbem Auge sah er, wie sich Ahmose und Aahmes-nofretari in die Augen blickten und sich wiegten, und dann nahm Ramose seine Mutter in die Arme und Kamose hätte am liebsten geweint, weil er innerlich so hohl, so leer war. Tetischeri zog ihn kurz an ihren vertrockneten Leib, dann musterte sie ihn gelassen. »Du bist so schwarz verbrannt wie ein Bauer aus der Wüste«, sagte sie schließlich.»Aber du siehst wohl aus, Majestät. Es tut gut, dich wieder zu sehen.«
»Es geht mir auch sehr gut, Großmutter«, antwortete er pflichtschuldig. »Und was dich angeht, so glaube ich, du lebst ewig.
Weitere Kostenlose Bücher