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In der Oase

In der Oase

Titel: In der Oase Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Flüssigkeit bespritzt waren. Ahmose war unendlich dankbar, dass er von seiner Leibwache eskortiert wurde.
    Zu Kamoses großer Erleichterung wirkte die breite Straße, die zum Tempel führte, unberührt, war noch immer von anmutigen Dattelpalmen gesäumt, deren Wedel in der Abendbrise raschelten. Kein Soldat hatte es gewagt, den heiligen Bezirk zu entweihen. In stummem Einverständnis gingen er und Ahmose schneller, schritten unter Thots Pylon durch und betraten den großen Vorhof fast im Laufschritt, blieben jedoch jäh stehen. Der ausgedehnte, säulenumstandene Hof war voller Menschen. Frauen und Kinder kauerten an den Wänden oder saßen nebeneinander und hielten sich umschlungen, als wollten sie sich trösten. Ein paar Männer lagen auf Decken, ihr Stöhnen mischte sich anrührend in das stille Schluchzen vieler Frauen. Priester gingen von Gruppe zu Gruppe, brachten Lampen und Essen, und Kamose erblickte wenigstens einen Arzt.
    Langsam stieß er die Luft aus. »Im Innenhof brennt noch Licht«, sagte er leise. »Anchmahor, du bleibst mit deinen Männern unter dem Pylon stehen, bis wir zurück sind.«
    Mit der Hand auf der Schulter seines Bruders schickte er sich an, den Hof zu überqueren, und dabei wandten sich Köpfe in ihre Richtung, Gesichter waren jedoch in dem flackernden Licht nicht auszumachen. Die wachsende Feindseligkeit jedoch war nicht zu verkennen. »Mörder, Gotteslästerer«, rief jemand, doch die Worte klangen tonlos, beinahe nachdenklich, und wurden nicht von den anderen aufgenommen. Kamose biss die Zähne zusammen und packte Ahmoses Schulter fester.
    Gesang kam ihnen entgegengeweht und wurde lauter, während sie weiterschritten. »Die Priester singen den Abendgesang«, flüsterte Ahmose. »Bald wird man den Schrein schließen.« Kamose gab keine Antwort. Das Gefühl von Frieden, das ihn umgeben hatte, als er über Thots Schwelle trat, war verflogen, ihn fror und er hatte Angst. Es ist zu spät, dachte er bekümmert. Thot wird sich nicht mehr besänftigen lassen. Ich hätte eher daran denken sollen. Warum, wie konnte ich das nur vergessen? Mutter, verzeih mir.
    Entweder hatte die aufgeladene Stimmung im Vorhof oder jener eigenartig gefühllose Aufschrei die Männer am Eingang zum Heiligtum und rings um den Hohen Priester aufmerken lassen. Der Gesang geriet ins Stocken und brach ab, und ehe die Brüder den Innenhof betreten konnten, standen sie unvermittelt vor Thots Dienern. Einen Augenblick herrschte entsetztes Schweigen. Kamose musterte sie im stetigen Schein der Lampen. Ausdruckslose schwarze Augen erwiderten seinen Blick. Dann schob sich der Hohe Priester bis zu ihm durch. »Fürst, ich erkenne dich«, sagte er heiser. »Ich kenne dich, seit du ein Kind warst. Du bist mit deiner Familie oft zur Andacht gekommen, wenn deine Mutter ihre Verwandte, eine Priesterin dieses Tempels, besucht hat. Aber jetzt bringst du keine Gebete, sondern Leid und Tod. Sieh dich um! Du bist an diesem heiligen Ort nicht willkommen.« Kamose schluckte und seine Kehle war jählings trocken.
    »Ich bringe die Rückkehr der Maat«, sagte er so ruhig wie möglich, »und die hat Thot Ägypten zusammen mit der Schrift geschenkt. Ich bin nicht gekommen, um mich mit dir zu streiten, Hoher Priester. Ich bin gekommen, weil ich mich vor dem Gott demütigen und um seine Vergebung für das bitten möchte, was ich dieser Stadt im Namen der Maat antun musste.«
    »Vergebung?«, sagte der Mann scharf. »Bereust du also, Fürst? Würdest du das Entsetzliche, das du angerichtet hast, gern ungeschehen machen?«
    »Nein«, entgegnete Kamose. »Ich will auch keine Vergebung für meine Tat. Ich möchte mich bei Thot dafür entschuldigen, dass ich es verabsäumt habe, ihm Geschenke und Erläuterungen zu bringen, ehe ich über Chemmenu hergefallen bin.«
    »Bringst du ein Geschenk?«
    »Nein.« Kamose blickte dem Mann direkt in die zornigen Augen. »Dafür ist es zu spät. Ich bringe nur die Bitte um sein Verständnis und das Versprechen, Ägypten zu heilen.«
    »Wenn einer krank ist, dann du, Fürst, nicht Ägypten.« Die Stimme des Hohen Priesters zitterte. »Du hast dich nicht einmal gewaschen. An deinen Sandalen ist Blut. Blut! Das Blut von Chemmenu klebt an deinen Füßen, und damit willst du diesen heiligen Boden betreten? Der Gott weist dich zurück!« Kamose spürte, wie sich sein Bruder anspannte und sprechen wollte, doch er kam ihm zuvor. Er nickte kurz, machte auf den Fersen kehrt und ging, und Ahmose folgte zögernd.
    Jetzt war

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