In der Oase
rutschte es Ahmose heraus. »Ist denn niemand aus Chemmenu nach Neferusi geflohen?« In diesem Augenblick klopfte es taktvoll an der Tür, Ipi trat ein und nahm seinen Platz zu Kamoses Füßen ein. Er war zwar zerzaust und offensichtlich noch schlaftrunken, doch er legte seine Palette auf die nackten Knie, dann einen Papyrus darauf und betätigte seinen Schaber, öffnete seine Tusche, befeuchtete einen Pinsel und blickte fragend zu Kamose hoch.
»Zeichne die Unterhaltung auf«, befahl dieser. »Bitte, nimm Platz, Meketra. Achtoi, bring dem Fürsten Wein. Und nun, Fürst, möchte ich wissen, warum und wie du hierher gekommen bist, ehe ich deine Frage beantworte.«
»Ich habe Teti erzählt, dass ich mir Späher nehmen und die Lage und Stellung deines Heeres ausmachen wollte«, sagte Meketra, während er sich auf einen Schemel setzte und die Beine übereinander schlug. »Das war gelogen. Ich wollte zu dir und hier bin ich, wenn auch nicht ganz so wie geplant.« Er lächelte betrübt. »Ich habe nicht gewusst, dass Neferusi bereits umstellt ist. Deine einheimischen Bogenschützen hätten mich beinahe erschossen. Ich bin gekommen, weil ich dir alle Informationen bezüglich der Festung und meiner Truppen geben und dir die Tore öffnen will, falls du das wünschst.«
Einen Augenblick herrschte nachdenkliches Schweigen, während Kamose den Fürsten sinnend betrachtete. Er wirkte vollkommen unbefangen, seine Hände lagen locker gefaltet auf den Schenkeln, sein Blick musterte kühl die Kabine. Er will etwas, überlegte Kamose. Das gibt ihm das Gefühl, er hat sich selbst und uns im Griff. Er sah, wie der Fürst nach dem Weinbecher griff, ihn zum Mund hob, zierlich trank, ihn absetzte, ohne dass auch nur ein Finger gezittert hätte. »Warum solltest du das alles tun?«, fragte Kamose schließlich. Meketra betrachtete ihn ungerührt.
»Sehr einfach, Fürst. Vor vielen Jahren war ich Gouverneur der Nomarche Mahtech und Fürst von Chemmenu. Mein Heim war das Heim, das dein Verwandter Teti schon bewohnte, als du noch ein Kind warst. Teti hatte immer damit geliebäugelt, und am Ende gab Apophis ihm für seine Treue und, nicht zu vergessen, für seine ungewöhnliche Gabe, seine adligen Nachbarn zu bespitzeln, das Haus zusammen mit dem Gouverneurstitel der Nomarche und der Befehlsgewalt über die Stadt. Teti hat Apophis über alles berichtet, was sich im Süden tat. Er war ein unschätzbares Werkzeug.« Meketra verzog das Gesicht. »Wegen meiner Treue und Tüchtigkeit als Nomarch durfte ich die Festung Neferusi befehligen. Ich bewohne das Quartier des Befehlshabers, meine Familie ein bescheidenes Anwesen außerhalb der Mauern. Ich hasse Apophis und verabscheue deinen Verwandten Teti. Ich möchte dir helfen, die Festung einzunehmen, wenn du mir versprichst, mich wieder in meine frühere Stellung einzusetzen. Darum habe ich gefragt, wie es um Chemmenu steht.« Kamoses Herz schlug jetzt schneller. Er wagte es nicht, seinen Bruder anzusehen.
»Willst du damit sagen, dass ihr noch keine Kunde von der Plünderung Chemmenus habt?«, fragte er eindringlich. »Niemand in der Festung weiß etwas darüber?« Meketra schüttelte den Kopf.
»Teti und seine Familie sind mit einer wirren Geschichte über ein Heer unter deinem Befehl eingetroffen, das angeblich Daschlut zerstört hat und auf seine Stadt marschiert«, sagte er. »Teti hat gefordert, dass die Festung zu den Waffen greift. Diesen Befehl habe ich erteilt. Seitdem warten wir.«
»Dann lass dir berichten, dass Chemmenu über die Klinge gesprungen, Neferusi umzingelt ist und ich mit neunzehntausend Mann nach Norden ziehe und Apophis Ägypten entreiße«, sagte Kamose. »Ich bin einverstanden mit deinem Vorschlag, Meketra, ja, sowie Neferusi gefallen ist, übergebe ich dir die geforderten Dokumente, und du kannst damit anfangen, Chemmenu wieder aufzubauen.« Meketra beugte sich vor.
»Du willst Teti töten?« Kamose bemühte sich um eine gefasste Miene, doch etwas in ihm scheute vor dem blanken Hass auf Meketras Gesicht zurück. Meketra wollte privat Rache nehmen. Na schön, genau wie ich, sagte er sich.
»Teti soll wegen Hochverrats hingerichtet werden«, antwortete er. »Und jetzt beschreibe uns die Festung.« Meketra winkte, und auf ein Nicken von Kamose hin reichte ihm Ipi ein Blatt Papyrus und einen Pinsel. Rasch begann Meketra Neferusi zu zeichnen.
»Hier ist der Nil«, sagte er, »und hier ist sein westlicher Nebenarm. Zwischen beiden liegen ungefähr acht Meilen. Das Land
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