In der Oase
Du musst dich jetzt entscheiden, Großmutter, entweder du vertraust mir oder nicht. Falls nicht, muss ich mir anderswo Rat holen.«
Lange saßen sie reglos da und starrten sich an, Ahmoses braune Augen blickten fest, Tetischeris nachdenklich. Der junge Welpe fordert mich heraus, dachte sie verwundert. Das ist nicht Eifersucht, sondern die Aufforderung, ihm endlich zuzugestehen, was ihm gebührt. Und damit hat er Recht. Wenn ich versuche, meine Bedenken seinetwegen zu rechtfertigen, wird er mich schwach finden und mich an den Rand seines Lebens verweisen. Ich muss mich gar nicht entschuldigen. So sei es. »Ich bin mit einer einzigen Sorge zu Anchmahor gegangen«, setzte sie an. »Dabei handelt es sich um Folgendes.« Rasch berichtete sie von den schlimmen Vorzeichen und dem Orakel.
»Es ist verwirrend, wie du so schnell von Kühle zu völliger Offenheit wechselst«, bemerkte er. »Du bist eine schwierige Frau, Großmutter. Ich nehme an, der Fürst hat dir versichert, dass Kamose geistig gesund bleibt, zumindest in absehbarer Zukunft.«
»Das sagst du so ruhig.« Tetischeri schrie es fast. »Liebst du ihn denn nicht mehr?«
»Doch!« Er hämmerte mit der geballten Faust auf die Armlehne ein. »Aber es ist mich hart angekommen, seine Qualen nicht mehr mitzuleiden! Wie sonst, glaubst du wohl, könnte ich neben ihm stehen und mit ansehen, was die Befehle, die er ausgesprochen hat, seinem Ka antun? Er kann seinen Dämonen nicht entfliehen, Tetischeri. Ich habe Glück. Ich kann Vergessen finden in den Armen meiner Frau, im Winden des Fisches an meinem Haken, in dem Augenblick, wenn mein Wurfstock hochfliegt und all meine Gedanken mit ihm fliegen. Diese Dinge fangen meine Albträume ein und ersticken sie. Kamose hat da weniger Glück. Wir haben den ganzen Tag getötet, jeden Tag, und das endlose Wochen lang. Und Kamose tötet immer weiter, auch wenn er auf dem Dach des alten Palastes sitzt und den Himmel anstarrt. Für ihn wäre es besser, wenn er bald wieder zu einem richtigen Schwert greifen könnte.«
»Ach.« Sie war erschüttert, und dieses Mal konnte sie es nicht verbergen. »Ahmose, sag mir alles. Ich will alles wissen.«
Sie saß sehr still, während seine Stimme die dämmrige, warme Luft ringsum erfüllte. Er beschönigte nichts, beschrieb so ruhig und anschaulich den Gestank des Gemetzels, die Feuersbrünste, die entsetzten Schreie der Frauen, die ruhelosen Nächte, die oftmals von den Berichten der Späher gestört wurden, die sich im Schutz der Dunkelheit den Fluss hinauf und hinab bewegten, dass sie gar nicht die Augen schließen musste, um sich alles auszumalen.
Als er mit den Einzelheiten von Kamoses Sturm nach Norden geendet hatte, schätzte er die Einstellung jedes Fürsten zu seiner Verantwortung ein und äußerte eine Vermutung hinsichtlich seiner Treue und Haltung Kamose, ihm selbst und Hor-Aha gegenüber. »Auaris wird in diesem Jahr noch nicht fallen, es sei denn, man kann Apophis aus seiner Festung locken«, schloss er. »Kamose ist fest entschlossen, die Stadt erneut zu belagern, aber das ist vergeudete Zeit. Die Fürsten bleiben, glaube ich, noch einen weiteren Feldzug dabei, aber wenn der keine Ergebnisse zeitigt, werden sie ihn bei der nächsten Überschwemmung bitten, sie heimziehen zu lassen, damit sie sich um ihre Nomarchen und Anwesen kümmern können.«
»Was sollte er dagegen unternehmen?«, fragte sie mit belegter Stimme. Ihr schwirrte der Kopf noch immer von grellen und furchtbaren Bildern. Er blies die Wangen auf.
»Ich möchte zunächst deine Meinung hören«, sagte er. »Und könnten wir ein Bier trinken, Großmutter? Das viele Reden hat meine Kehle ausgedörrt.«
Was bist du?, dachte sie, als sie Uni von seinem Schemel vor ihrer Tür hereinrief und ihn Erfrischungen holen ließ, und selbst der klaren und kalten Frage folgte eine Aufwallung von Sorge. Du bist nicht Kamose. Du bist nicht der König. Ich wollte, dein Bruder säße mir gegenüber und beredete diese Angelegenheiten so klar und kundig. »Er sollte Het nefer Apu mit einer Garnison versehen, obwohl die Stadt wirklich zu weit vom Delta gelegen ist«, sagte sie. »Er sollte am Beginn des Deltas, in Iunu, eine große Festung bauen und dort ständig Truppen haben, damit Apophis nicht nach Süden zieht. Er sollte viele Spione nach Auaris schicken, die sich in der Stadt Arbeit suchen und allmählich ein Bild von allem bekommen, von der Beschaffenheit der Tore bis zur Anzahl und Richtung der Straßen und von der Lage und
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