In der Schwebe
Wasser. Ihr Gesichtsfeld begann sich bereits zu verengen, und ihre Beine waren so taub, als gehörten sie gar nicht zu ihrem Körper, als seien es die Beine einer Fremden.
Es blieb nicht mehr viel Zeit.
Sie hatte nicht mehr die Kraft, einen EVA-Anzug anzulegen.
Was spielte es schon für eine Rolle, wo sie starb? Die Station war bereits verseucht. Ihre Leiche war nur ein weiterer Gegenstand, der entsorgt werden musste.
Sie tauchte zum letzten Mal in den dunklen Teil der Station.
Die Kuppel war der Ort, wo sie ihre letzten wachen Momente verbringen wollte. Sie würde in der Dunkelheit schweben und hinunterblicken auf die Erde in all ihrer Pracht. Durch die Sichtfenster konnte sie den blaugrauen Bogen des Kaspischen Meeres sehen. Wolkenwirbel über Kasachstan und Schnee auf den Gipfeln des Himalaja.
Da unten leben Milliarden von Menschen ihr Leben,
dachte sie.
Und hier bin ich, ein sterbendes Fünkchen am Himmel.
»Emma?« Es war Todd Cutler, dessen Stimme leise aus ihrem Kopfhörer drang. »Wie geht es dir?«
»Nicht … nicht so besonders«, murmelte sie. »Schmerzen.
Sehkraft lässt nach. Ich habe die letzte Valium genommen.«
»Du musst durchhalten, Emma. Hör auf mich. Gib nicht auf.
Noch nicht.«
»Ich habe die Schlacht bereits verloren, Todd.«
»Nein, das hast du nicht! Du darfst den Glauben nicht verlieren …«
»An Wunder?« Sie lachte leise. »Das eigentliche Wunder ist, dass ich überhaupt hier oben bin. Dass ich die Erde von einem Ort aus sehe, an dem erst so wenige Menschen je gewesen sind …« Sie berührte das Glas der Kuppel und spürte die Wärme der Sonne. »Ich wünschte nur, ich könnte mit Jack sprechen.«
»Wir versuchen, das hinzubekommen.«
»Wo ist er? Wieso könnt ihr ihn nicht erreichen?«
»Er arbeitet wie wild daran, dich nach Hause zu bringen. Das musst du uns glauben.«
Tränen traten ihr in die Augen, und sie blinzelte.
Ich glaube es.
»Können wir irgendetwas für dich tun?«, fragte Todd.
»Möchtest du sonst noch mit jemandem sprechen?«
»Nein«, seufzte sie. »Nur mit Jack.«
Es war still am anderen Ende.
»Ich glaube … ich glaube, was ich jetzt am meisten will …«
»Ja?«, sagte Todd.
»Ich will schlafen. Das ist alles. Einfach nur schlafen.« Er räusperte sich. »Natürlich. Ruh dich nur gut aus. Ich bin immer hier, falls du mich brauchst.« Er schloss mit einem leisen »Gute Nacht, ISS«.
Gute Nacht, Houston,
dachte sie. Und sie nahm den Kopfhörer ab und ließ ihn in der Dunkelheit davontreiben.
27
Die Reifen der schwarzen Limousinen wirbelten eine gewaltige Staubwolke auf, als der Konvoi vor dem Eingang von Apogee Engineering zum Stehen kam. Jared Profitt stieg aus dem ersten Wagen aus und blickte zu dem Gebäude hinauf. Es sah aus wie ein Hangar, ein fensterloser, trister Industriebau, dessen Dach mit Satellitenanlagen gespickt war.
Er nickte General Gregorian zu. »Sichern Sie das Gebäude.«
Es verging kaum eine Minute, bis Gregorians Männer signalisierten, dass alles gesichert war. Profitt betrat das Gebäude.
Drinnen traf er auf eine bunt gemischte Gruppe von Männern und Frauen mit angespannten und verärgerten Mienen, die zusammengepfercht in einer Ecke standen. Zwei Gesichter erkannte er sofort: den Direktor der Flugeinsatzabteilung Gordon Obie und den Shuttle-Flugdirektor Randy Carpenter. Die NASA war also hier, wie er bereits vermutet hatte. Dieses unscheinbare Gebäude mitten in der Wüste von Nevada hatte sich in einen rebellischen Ableger der Mission Control verwandelt.
Im Unterschied zum Flugkontrollzentrum der NASA handelte es sich hier offensichtlich um eine Low-Budget-Produktion. Der Fußboden bestand aus nacktem Beton. Ein Gewirr von Kabeln und Drähten zog sich durch den ganzen Raum, und zwischen ausrangierten elektronischen Bauteilen schlich eine enorm übergewichtige Katze umher.
Profitt trat zu den Flugkonsolen und warf einen Blick auf die einlaufenden Daten. »Wie ist der Status des Orbiters?«, fragte er.
Einer von Gregorians Männern, ein Controller des US-Raumfahrtkommandos, antwortete: »Er hat die Ti-Zündung durchgeführt und bewegt sich jetzt entlang der R-Bahn. Er könnte in fünfundvierzig Minuten auf die ISS treffen.«
»Lassen Sie ihn nicht näher herankommen!«
»Nein!«, rief Gordon Obie. Er löste sich aus der Gruppe und trat vor. »Tun Sie das nicht. Sie verstehen nicht …«
»Es darf nicht zu einer Evakuierung der ISS-Crew kommen«, sagte Profitt.
»Das
ist
keine Evakuierung!«
»Was hat der
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