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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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dunkelgrüne
Sojus
-Kapsel, die sich von der Silhouette der Station abhob. Er befand sich direkt unterhalb des russischen Teils. Plötzlich fand er sich wieder zurecht. Rasch wandte er den Blick zum amerikanischen Ende und erkannte das US-Wohnmodul. An dessen oberem Ende befand sich Node 1, und von diesem zweigte die Druckschleuse ab.
    Er wusste, wohin er sich wenden musste.
    Jetzt galt es also. Ohne Leine, ohne jeden Halt und nur auf seine Steuerdüsen angewiesen, musste er den leeren Raum durchqueren. Er startete den Düsensatz, stieß sich von der
Apogee
ab und nahm Kurs auf die ISS.
    Es war sein erster Weltraumspaziergang, und seine ungeschickten Bewegungen zeugten von seiner Unerfahrenheit. Er konnte nicht abschätzen, mit welcher Geschwindigkeit er sich seinem Ziel näherte. So prallte er mit derartiger Wucht gegen den Rumpf des Moduls, dass er fast zurückgeschleudert worden wäre und sich gerade noch an einem Handgriff festhalten konnte.
    Beeil dich. Sie stirbt.
    Krank vor Angst und in schnellen, heftigen Stößen atmend, hangelte er sich an der Außenseite des Moduls entlang.
    »Houston«, keuchte er, »ich brauche den Surgeon … er soll sich bereithalten …«
    »Roger, wird gemacht.«
    »Ich … ich habe Node 1 fast erreicht …«
    »Jack, hier Surgeon.« Todd Cutlers Stimme klang ruhig, aber eindringlich. »Du hast die letzten zwei Tage nicht mitbekommen, was gelaufen ist. Es gibt da ein paar Dinge, die du wissen musst. Emmas letzte Dosis HCG liegt fünfundfünfzig Stunden zurück. Ihre Laborwerte haben sich seither verschlechtert. Amylase und CPK sind enorm gestiegen. Beim letzten Funkkontakt klagte sie über Kopfschmerzen und schwindende Sehkraft. Das war vor sechs Stunden. Über ihren gegenwärtigen Zustand wissen wir nichts.«
    »Ich bin an der Luke zur Druckschleuse!«
    »Die Software der Station ist auf EVA-Modus umgestellt. Alles klar zum Druckausgleich.«
    Jack öffnete die Luke und hievte sich in die Mannschaftsschleuse. Als er sich umdrehte, um die Klappe wieder zu schließen, fiel sein Blick auf die
Apogee II.
Sie entfernte sich bereits von der Station. Sein einziges Rettungsboot flog ohne ihn nach Hause. Jetzt gab es endgültig kein Zurück mehr.
    Er schloss die Luke und verriegelte sie. »Druckausgleichsventil geöffnet«, meldete er. »Beginne mit der Kompression.«
    »Ich möchte nur, dass du auf das Schlimmste vorbereitet bist«, sagte Todd. »Für den Fall, dass sie …«
    »Sag zur Abwechslung mal etwas Nützliches.«
    »Okay. Okay, hier ist das Neueste von USAMRIID. Das Ranavirus scheint bei ihren Versuchstieren tatsächlich zu wirken. Allerdings ist der Effekt auf das Frühstadium begrenzt. Es wirkt nur, wenn es innerhalb von sechsunddreißig Stunden nach der Ansteckung verabreicht wird.«
    »Und wenn man es danach gibt?«
    Cutler antwortete nicht. Sein Schweigen bestätigte die schlimmsten Befürchtungen.
    Der Druck in der Mannschaftsschleuse war auf neunhundertfünfundsechzig Hektopascal gestiegen. Jack öffnete die Zwischenluke und tauchte in die Ausrüstungsschleuse. Dort riss er sich hastig die Handschuhe von den Händen, legte den Orlan-M-Anzug ab und streifte sich die wassergekühlte Unterbekleidung vom Leib. Aus den mit Reißverschlüssen gesicherten Taschen des Raumanzugs zog er verschiedene Packungen mit Medikamenten und fertig aufgezogene Spritzen mit Ranaviren. Er zitterte jetzt schon am ganzen Leib, halb gelähmt vor Angst angesichts dessen, was ihn im Inneren der Station erwartete. Er stieß die innere Luke auf.
    Und sah sich seinem schlimmsten Albtraum gegenüber.
    Sie schwebte im Halbdunkel des Verbindungsknotens wie eine Schwimmerin, die in einem dunklen Meer dahintreibt. Nur dass diese Schwimmerin am Ertrinken war. Ihre Arme und Beine wurden von rhythmischen Krämpfen geschüttelt. Heftige Zuckungen durchfuhren ihr Rückgrat, und ihr Kopf ruckte so wild hin und her, dass ihre Haare wie eine Peitsche durch die Luft sausten. Im Todeskampf.
    Nein,
dachte er.
Ich lasse dich nicht sterben. Verdammt noch mal, Emma, du wirst mich nicht verlassen.
    Er packte sie um die Hüfte und schleppte sie in das russische Ende der Station. Dorthin, wo die Module noch Strom und Licht hatten. Ihr Körper zuckte wie ein elektrischer Draht, durch den ein Stromstoß nach dem anderen jagt; sie wand sich in seinen Armen und schlug heftig um sich. Sie war so klein, so zerbrechlich, doch die Kraft, die durch ihren sterbenden Körper strömte, war so enorm, dass er seinem Griff zu entgleiten

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