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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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habe den Auftrag, für das Gemeinwohl Sorge zu tragen, und ich werde tun, was erforderlich ist. Wenn ich das geringste Anzeichen dafür entdecke, dass Sie vorhaben, einen dieser beiden Astronauten zur Erde zu bringen, werde ich die Vernichtung der
Apogee II
anordnen.«
    Gordon Obie nickte. »Ich habe nichts anderes von Ihnen erwartet.«
    »Dann wissen wir beide, woran wir sind.« Profitt holte tief Luft und drehte sich zu der Konsolenreihe um. »Also dann. Sehen Sie zu, dass Sie diesen Mann zu seiner Frau schaffen.«
    Jack stand – oder vielmehr schwebte – auf der Schwelle zur Unendlichkeit.
    Kein noch so intensives EVA-Training im WET-F-Becken hätte ihn auf die Angst vorbereiten können, die jetzt in seinen Eingeweiden wühlte, auf die lähmende Furcht, die ihn erfasste, als er in die Leere des Weltraums starrte. Er hatte die Luke zum nach außen offenen Nutzlastdock aufgestoßen, und das Erste, was er erblickte, war weit unter ihm in Schwindel erregender Tiefe die Erde. Die ISS konnte er nicht sehen, sie schwebte über ihm, verdeckt vom Rumpf des Orbiters. Um sie zu erreichen, musste er durch diese Ladeluke schwimmen und sich auf die andere Seite der
Apogee II
begeben. Aber zuerst musste er sich zwingen, seinen Instinkt zu ignorieren, der ihn mit aller Macht zurück in die Luftschleuse treiben wollte.
    »Emma«, sagte er, und der Klang ihres Namens war wie ein leises Gebet. Er holte noch einmal Luft, bereit, den Rand der Luke loszulassen und sich in die Weite des Alls zu stürzen.
    »
Apogee II,
hier Capcom Houston.
Apogee –
Jack – bitte antworten.«
    Der Funkspruch aus seinem Kopfhörer kam für Jack völlig überraschend. Er hatte nicht damit gerechnet, dass man vom Boden aus Kontakt zu ihm aufnehmen würde. Die Tatsache, dass Houston ihn ganz offen mit seinem Namen anrief, konnte nur bedeuten, dass alles aufgeflogen war.
    »
Apogee,
wir bitten Sie dringend um Antwort.«
    Er schwieg. Sollte er zugeben, dass er sich in der Erdumlaufbahn befand?
    »Jack, man hat uns wissen lassen, dass das Weiße Haus nicht in Ihre Mission eingreifen wird. Vorausgesetzt, Sie sind sich über einen wesentlichen Punkt im Klaren: Es wird keinen Rückflug geben.« Der Capcom machte eine Pause und fuhr dann leise fort: »Wenn Sie die ISS betreten, können Sie nicht zurück. Sie werden nie mehr heimkommen.«
    »Hier
Apogee II
«, antwortete Jack schließlich. »Nachricht erhalten und verstanden.«
    »Sie haben immer noch vor, es durchzuziehen? Überlegen Sie es sich gut.«
    »Was glauben Sie, weshalb ich hier bin? Um die schöne Aussicht zu genießen?«
    »Äh, wir haben verstanden. Aber bevor Sie fortfahren, sollten Sie eines wissen. Wir haben vor sechs Stunden den Kontakt mit der ISS verloren.«
    »Was soll das heißen, den Kontakt verloren?«
    »Emma antwortet nicht mehr.«
    Sechs Stunden,
dachte er.
Was ist in den letzten sechs Stunden passiert?
Der Start lag zwei Tage zurück. So lange hatte es gedauert, bis die
Apogee II
die ISS eingeholt und die Rendezvous-Manöver abgeschlossen hatte. Während dieser ganzen Zeit war er von jeglicher Kommunikation abgeschnitten gewesen und folglich nicht auf dem Laufenden über das, was sich auf der Station abgespielt hatte.
    »Es könnte zu spät sein. Vielleicht wollen Sie es sich noch einmal überlegen …«
    »Was sagt die Biotelemetrie?«, unterbrach Jack ihn. »Wie ist ihr Rhythmus?«
    »Sie ist nicht angeschlossen. Sie hat sich die Kabel abgenommen.«
    »Dann wissen Sie es also nicht. Sie können mir gar nicht sagen, was los ist.«
    »Kurz bevor der Sprechkontakt abgebrochen ist, hat sie Ihnen eine letzte E-Mail geschickt.« Leise fügte der Capcom hinzu: »Jack, es war ihr Abschiedsbrief.«
    Nein.
Plötzlich ließ er den Rand der Luke los, stieß sich ab und tauchte kopfüber aus der Luftschleuse in die offene Ladebucht.
Nein.
Er schnappte nach einem Haltegriff und kletterte über die Ladeluke auf die andere Seite der
Apogee II.
Mit einem Mal war die Raumstation einfach
da;
sie schwebte über seinem Kopf, so riesig und ausladend, dass ihm vor Staunen einen Moment lang der Atem stockte. Dann erfasste ihn Panik, und er dachte:
Wo ist die Druckschleuse? Ich sehe die Druckschleuse nicht!
Da waren so viele Module, so viele Sonnensegel, ausgebreitet über eine Fläche doppelt so groß wie ein Footballfeld. Er fand sich nicht zurecht. Er hatte die Orientierung verloren, überwältigt und verwirrt von der gewaltigen Größe der Konstruktion.
    Dann entdeckte er die

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