In der Schwebe
das beste Mittel, um sich nicht vom Kummer überwältigen zu lassen.«
Er legte einen Finger auf den Lichtfleck, der Tokio darstellte. »Tu nicht so, als hättest du ein Herz, Diana. Darauf fällt niemand rein.«
Einen Augenblick lang sagte sie nichts. Er hörte nur das ununterbrochene summende Hintergrundgeräusch der Raumstation, an das er sich schon so sehr gewöhnt hatte, dass er es normalerweise kaum noch wahrnahm.
Unbeeindruckt fuhr sie fort: »Ich verstehe ja, dass es schwer für dich ist. Es ist gewiss nicht leicht, hier gefangen zu sein, ohne jede Möglichkeit, nach Hause zu gelangen. Aber du kannst es nun mal nicht ändern. Du musst eben auf das Shuttle warten.«
Er lachte bitter. »Warum denn warten, wenn ich doch in vier Stunden zu Hause sein kann?«
»Red doch keinen Unsinn, Bill.«
»Das ist kein Unsinn. Ich sollte einfach in das CRV steigen und
abhauen,
«
»Und uns ohne Rettungsboot zurücklassen? Du hast wohl den Verstand verloren.« Sie machte eine Pause. »Hör mal, vielleicht würdest du dich besser fühlen, wenn du ein paar Medikamente nehmen würdest. Nur um diese Phase besser durchzustehen.«
Er drehte sich zu ihr um, und all sein Schmerz und seine Trauer machten plötzlich einer Aufwallung von Zorn Platz. »Ich soll eine Pille schlucken, und dann wird alles gut, ja?«
»Es könnte helfen, Bill. Ich muss einfach sicher sein können, dass du nicht irgendetwas Unvernünftiges tust.«
»Du kannst mich mal.« Er stieß sich von der Kuppel ab und schwebte an ihr vorbei auf die Luke des Labors zu.
»Bill!«
»Wie du netterweise bereits erwähnt hast, habe ich zu tun.«
»Ich habe doch gesagt, wir können deine Aufgaben unter uns aufteilen. Wenn du meinst, du schaffst es nicht …«
»Ich werde meine verdammte Arbeit selbst machen!«
Er glitt in das US-Labor hinein. Erleichtert stellte er fest, dass sie ihm nicht folgte. Als er einen Blick zurück riskierte, sah er, wie sie in die Wohnkapsel schwebte. Zweifellos hatte sie vor, den Zustand des Crew Return Vehicle zu überprüfen. Das CRV, ausgelegt für die Evakuierung aller sechs Astronauten, war das einzige Rettungsboot, mit dem sie im Fall einer Katastrophe zur Erde zurückkehren konnten. Mit seiner beiläufigen Bemerkung, er könne sich mit dem CRV davonmachen, hatte er ihr einen gehörigen Schrecken eingejagt. Es tat ihm bereits Leid. Sie würde ihn nun ständig beobachten und sorgfältig auf Anzeichen eines bevorstehenden emotionalen GAUs achten.
Es war schon qualvoll genug, in dieser besseren Sardinenbüchse dreihundert Kilometer über dem Erdboden festzusitzen; dabei auch noch argwöhnisch observiert zu werden, machte das Ganze nur schlimmer. Ja, er war von dem Wunsch besessen, nach Hause zurückzukehren, aber er war gewiss nicht psychisch labil. All die Jahre des Trainings, all die psychologischen Tests hatten nur die Tatsache bestätigt, dass Bill Haning ein Profi war – und gewiss kein Mann, der seine Kollegen in Gefahr bringen würde.
Mit einer eingeübten Bewegung stieß er sich von der Wand ab und schwebte durch die Laborkapsel auf seinen Arbeitsplatz zu. Dort sah er die zahlreichen neu eingetroffenen E-Mails durch. In einem Punkt hatte Diana Recht gehabt: Die Arbeit würde ihn von seiner Sorge um Debbie ablenken.
Die meisten Mails kamen vom Ames Biological Research Center der NASA in Kalifornien und betrafen Routineanfragen zur Bestätigung von Daten. Viele Experimente wurden von der Erde aus überwacht, und manchmal stellten die Wissenschaftler die Daten in Frage, die ihnen von der ISS geliefert wurden. Er ließ die Nachrichten über den Monitor laufen und verzog das Gesicht angesichts einer weiteren Bestellung von Urin- und Stuhlproben von den Astronauten. Er scrollte weiter und hielt plötzlich inne, als eine neue Nachricht auf dem Bildschirm erschien.
Das hier war etwas anderes. Die Mail kam nicht aus Arnes, sondern von einer privaten Firma, die Nutzlasten in den Weltraum schickte. Die Privatindustrie finanzierte verschiedene Experimente an Bord der Station, und so erhielt er des Öfteren E-Mails von Forschern außerhalb der NASA.
Diese Nachricht stammte von SeaScience in La Jolla, Kalifornien.
An: Dr. William Haning, ISS Biowissenschaften
Absender: Helen Koenig, Wissenschaftliche Leiterin
Betreff: Experiment CCU Nr. 23 (Archäen-Zellkultur)
Nachricht: Die jüngsten uns übermittelten Daten deuten auf eine rapide und unerwartete Zunahme der Zellkulturmasse hin. Bitte um Überprüfung mittels Ihrer an Bord
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