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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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befindlichen Mikromassen-Messvorrichtung.
    Wir sollen also wieder mal nachsehen, wo ’s klemmt,
dachte er gelangweilt. Viele Experimente im Orbit wurden durch Anweisungen von Wissenschaftlern auf der Erde gesteuert. Die Daten wurden in den verschiedenen Laborracks mit Hilfe von Videokameras und automatischen Vorrichtungen zur Gewinnung von Proben ermittelt, worauf die Ergebnisse per Satellit direkt an die Forscher auf der Erde geschickt wurden. Bei so viel HighTech-Ausrüstung an Bord der ISS musste es dann und wann zu kleineren Störungen kommen. Das war der eigentliche Grund, weshalb man hier oben Menschen brauchte – um einzugreifen, wenn die launische Elektronik wieder mal versagte.
    Auf dem Nutzlast-Computer rief er die Datei für CCU Nr. 23 auf und überprüfte das Protokoll. Die Zellen in dieser Kultur waren Archäen, bakterienartige Meeresorganismen, die aus hydrothermalen Spalten in der Tiefsee gewonnen wurden. Für Menschen waren sie harmlos.
    Er schwebte durch das Labor auf die Zellkulturanlage zu und schlüpfte mit den Füßen, an denen er nur Strümpfe trug, in die Haltegurte, um nicht wegzudriften. Die kastenförmige Apparatur besaß ein integriertes Leitungssystem, mit dem zwei Dutzend Zellkulturen und Gewebeproben ständig befeuchtet werden konnten. Die meisten Experimente liefen von selbst ohne jedes menschliche Zutun. In den vier Wochen, die er an Bord der ISS war, hatte Bill nur ein einziges Mal einen Blick auf den Behälter Nr. 23 geworfen.
    Er zog den Schubkasten mit den Zellproben heraus. Darin waren vierundzwanzig Röhrchen mit Kulturen im Kreis angeordnet. Er fand Nr. 23 und nahm das Röhrchen heraus.
    Er merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Der Deckel des Glasröhrchens war nach außen gewölbt, als stünde er unter Druck. Anstelle der erwarteten leicht eingetrübten Flüssigkeit sah er eine leuchtend blaugrün gefärbte Masse. Er drehte das Röhrchen auf den Kopf, aber die Kultur rührte sich nicht von der Stelle. Sie war nicht mehr flüssig, sondern viskos, beinahe fest.
    Er kalibrierte das Mikromassen-Messgerät und schob das Röhrchen in die dafür vorgesehene Aussparung. Einen Augenblick später tauchten die Daten auf dem Bildschirm auf.
    Irgendetwas ist hier absolut nicht in Ordnung,
dachte er.
Es hat irgendeine Verunreinigung gegeben. Entweder war die ursprüngliche Zellprobe nicht rein, oder ein anderer Organismus ist in das Röhrchen gelangt und hat die Primärkultur zerstört.
    Er tippte seine Antwort an Dr. Koenig:
    … Bestätige die Ihnen übermittelten Daten. Die Kultur ist offensichtlich drastisch verändert. Sie ist nicht mehr flüssig, sondern scheint sich in eine gallertartige Masse verwandelt zu haben und weist jetzt eine kräftige, fast neonartige blaugrüne Färbung auf. Die Möglichkeit einer Verunreinigung muss in Betracht gezogen werden …
    Er hielt inne. Es gab noch eine andere Möglichkeit: die Auswirkungen der Mikrogravitation. Auf der Erde wuchsen Kulturen meist nur zweidimensional und breiteten sich in einer flachen Schicht am Boden des Behältnisses aus. Im Weltraum, befreit von der Wirkung der Schwerkraft, zeigten dieselben Kulturen ein verändertes Verhalten. Sie wuchsen dreidimensional und nahmen Formen an, die auf der Erde nie möglich wären.
    Wenn nun Nr. 23 gar nicht kontaminiert war? Wenn sich die Archäen ganz einfach so verhielten, weil keine Schwerkraft sie hemmte?
    Doch fast im gleichen Moment ließ er den Gedanken wieder fallen. Diese Veränderungen waren zu drastisch. Die Schwerelosigkeit konnte unmöglich einen einzelligen Organismus in diese höchst sonderbare grüne Masse verwandelt haben.
    Er schrieb:
    … Werde Ihnen mit dem nächsten Shuttleflug eine Probe von Kultur Nr. 23 senden. Bitte wenden Sie sich an mich, falls Sie weitere Instruktionen haben …
    Das plötzliche Klappern eines Schubkastens schreckte ihn auf. Er drehte sich um und sah Kenichi Hirai, der an seinem eigenen Laborrack zugange war. Das hartnäckige Schweigen dieses Mannes irritierte Bill. Kenichi war so etwas wie das Hausgespenst der Station; wortlos schlich er umher und erschreckte alle. Bill wusste, woran es lag: Kenichi war so unsicher, was sein Englisch betraf, dass er es vorzog, wenig oder gar nichts zu sagen, um sich nicht zu blamieren. Wenigstens beim Hereinkommen hätte er »Hallo« rufen können, um die Nerven seiner fünf Kollegen ein bisschen zu schonen.
    Bill wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Röhrchen Nr. 23 zu. Wie diese gallertartige Masse wohl

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