In der Schwebe
das Atmen zur Qual zu machen.
In einem Krankenhaus in Houston kämpfte in diesem Augenblick seine Frau um ihr Leben, und er konnte nichts tun, um ihr zu helfen. Für die nächsten zwei Wochen würde er hier gefangen sein; er würde die Stadt sehen können, in der Debbie vielleicht gerade im Sterben lag, und würde sie doch nicht erreichen, nicht berühren können. Er konnte bestenfalls die Augen schließen und sich vorzustellen versuchen, er säße an ihrer Seite und hielte ihre Hand fest in der seinen.
Du musst durchhalten. Du musst kämpfen. Ich bin bald bei dir.
»Bill? Alles in Ordnung mit dir?«
Er drehte sich um und sah Diana Estes aus der USLaborkapsel in das Verbindungsmodul schweben. Es überraschte ihn, dass sie sich nach seinem Befinden erkundigte. Obwohl sie schon einen Monat auf engstem Raum zusammenlebten, hatte er sich mit der Engländerin nicht anfreunden können. Sie war zu kalt, zu emotionslos. Sie sah mit ihrem blonden Haar auf unterkühlte Weise zwar gut aus, aber sie war nicht die Art Frau, zu der er sich jemals hingezogen fühlen würde. Auch sie hatte nicht das geringste Interesse an ihm bekundet. Allerdings wurde ihre Aufmerksamkeit auch die meiste Zeit von Michael Griggs in Anspruch genommen. Die Tatsache, dass Griggs eine Frau hatte, die unten auf der Erde auf ihn wartete, schien für die beiden keinerlei Bedeutung zu haben. Diana und Griggs waren wie die beiden Hälften eines Doppelsterns, die einander ständig umkreisten, aneinander gefesselt durch eine gewaltige Anziehungskraft.
Das gehörte zu den unerfreulichen Begleiterscheinungen, mit denen man sich abzufinden hatte, wenn man einer von sechs Menschen aus vier verschiedenen Ländern war, die in so beengten Verhältnissen zusammenleben mussten: die ständig wechselnden Bündnisse und Spaltungen, die unstete Trennlinie zwischen
uns
und
denen.
Der Stress des Eingeschlossenseins über so lange Zeit machte sich bei jedem auf eigene Weise bemerkbar. Der Russe Nikolai Rudenko, der schon am längsten in der ISS weilte, war in letzter Zeit immer mürrischer und reizbarer geworden. Kenichi Hirai von der japanischen Weltraumorganisation NASDA war wegen seiner mangelhaften Englischkenntnisse so frustriert, dass er oft in beklommenes Schweigen verfiel. Nur Luther Arnes kam immer noch mit allen gut aus. Als Houston die schlechte Nachricht über Debbie durchgegeben hatte, war Luther derjenige gewesen, der instinktiv gewusst hatte, wie er mit Bill zu reden hatte. Er hatte einfach aus dem Herzen gesprochen, von Mensch zu Mensch. Luther war der Sohn eines beliebten schwarzen Geistlichen aus Alabama, und er hatte von seinem Vater das Talent geerbt, Trost zu spenden.
»Das ist gar keine Frage, Bill«, hatte Luther gesagt. »Du musst heim zu deiner Frau. Du sagst jetzt Houston, sie sollen dir das Taxi schicken, das dich nach Hause bringt, oder sie kriegen es mit mir zu tun.«
Wie anders hatte doch Diana reagiert. Logisch denkend wie immer, hatte sie ganz ruhig darauf hingewiesen, dass Bill doch ohnehin nichts tun könne, um die Genesung seiner Frau zu beschleunigen. Debbie lag im Koma; sie würde nicht einmal merken, ob er da war.
So kalt und spröde wie die Kristalle, die sie in ihrem Labor züchtet.
Das war Bills Urteil über Diana.
Und deshalb fand er es merkwürdig, dass sie sich jetzt nach ihm erkundigte. Sie hielt am Eingang des Verbindungsmoduls inne, distanziert wie immer. Ihre langen blonden Haare wehten ihr ins Gesicht wie Seegras in der Strömung.
Er drehte sich wieder zum Fenster um. »Ich warte darauf, dass Houston auftaucht«, sagte er.
»Du hast wieder einen Haufen E-Mails aus dem Nutzlastzentrum.«
Er erwiderte nichts, sondern starrte nur auf die funkelnden Lichter von Tokio hinab, wo jetzt gerade die Morgendämmerung hereinbrach.
»Bill, es sind Sachen dabei, die deine Aufmerksamkeit erfordern. Wenn du dich nicht dazu in der Lage siehst, werden wir anderen deine Pflichten unter uns aufteilen müssen.«
Pflichten. Also deshalb war sie gekommen. Nicht, um mit ihm über seinen Schmerz zu reden, sondern um herauszufinden, ob sie sich noch darauf verlassen konnten, dass er die ihm zugewiesenen Aufgaben im Labor erfüllte. Die Tage an Bord der ISS waren gründlich verplant, es blieb nur wenig Zeit zum Nachdenken oder Trauern. Wenn ein Mitglied der Crew arbeitsunfähig wurde, mussten die anderen in die Bresche springen und sich um die laufenden Experimente kümmern.
»Manchmal«, sagte Diana mit ihrer makellosen Logik, »ist Arbeit
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