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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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waren streng von den Menschen in der Station isoliert. Ihre Atemluft wurde gefiltert und gereinigt, bevor sie sich mit der Luft in der Raumstation mischen konnte. Anfassen durfte man die Tiere nur durch den an ihre Käfige angrenzenden Handschuhkasten, in dem man mit sämtlichen biologischen Forschungsobjekten, angefangen von Bakterien bis hin zu Laborratten, hantieren konnte, ohne dass die Gefahr bestand, die Atemluft zu verunreinigen.
    Heute war Blutprobentag. Das Blutabnehmen gehörte nicht gerade zu seinen Lieblingsbeschäftigungen; es bereitete ihm Unbehagen, die Haut der Mäuse mit einer Nadel durchbohren zu müssen. Er murmelte auf Japanisch eine Entschuldigung, während er in die Handschuhe fuhr und die erste Maus in den isolierten Arbeitsbereich setzte. Sie zappelte und versuchte, sich seinem Zugriff zu entziehen. Er ließ sie wieder los, und sie schwebte frei umher, während er die Spritze vorbereitete. Es war ein erbarmungswürdiger Anblick, wie die Maus wild mit den Beinchen ruderte und sich vergeblich bemühte, von der Stelle zu kommen. Da sie sich nirgendwo abstoßen konnte, trieb sie hilflos in der Luft.
    Als die Spritze fertig war, griff er wieder nach der Maus, um sie einzufangen. Erst in diesem Moment bemerkte er das blaugrüne Tröpfchen, das neben der Maus schwebte. So dicht neben ihr, dass sie flugs ihre kleine rosa Zunge hervorschnellen ließ, um probehalber an dem Tröpfchen zu lecken. Kenichi lachte lauthals auf. Die Astronauten machten sich oft einen Spaß daraus, in der Luft schwebende Wassertropfen zu trinken, und genau das schien die Maus jetzt zu tun – sie vergnügte sich mit ihrem neuen Spielzeug.
    Dann kam ihm ein Gedanke: Wo war die blaugrüne Substanz eigentlich hergekommen? Bill hatte den Handschuhkasten benutzt. Wenn er nun eine toxische Substanz verschüttet hatte?
    Kenichi schwebte zum Computerarbeitsplatz hinüber und sah sich das Protokoll an, das Bill zuletzt aufgerufen hatte. Es war das Experiment CCU Nr. 23, eine Zellkultur. Das Protokoll gab ihm die Gewissheit, dass das Tröpfchen völlig ungefährlich war. Archäen waren harmlose einzellige Meeresorganismen, die keinerlei infektiöse Eigenschaften aufwiesen.
    Beruhigt kehrte er zur Handschuhbox zurück und steckte die Hände hinein. Er griff nach der Spritze.

5
    16. Juli
    Wir haben keinen Empfang.
    Jack starrte zu der Wolke aus Abgasen empor, die sich über den azurblauen Himmel zog, und blankes Entsetzen bohrte sich wie ein Messer in sein Herz. Die Sonne brannte auf seinem Gesicht, und doch war der Schweiß, der es überzog, kalt wie Eis. Er suchte den Himmel ab. Wo war das Shuttle? Nur wenige Sekunden zuvor hatte er beobachtet, wie es in einem weiten Bogen in den wolkenlosen Himmel aufgestiegen war, hatte gespürt, wie der Boden unter dem Donner des Starts erbebt war. Und er hatte das Gefühl gehabt, dass sein Herz mit dem Raumschiff emporgeschossen war, vorangetrieben vom Tosen der Raketen, und seiner Bahn durch die Atmosphäre folgte, bis es nur noch ein glänzendes Pünktchen reflektierten Sonnenlichts war.
    Er konnte es nicht sehen. Was vor Sekunden noch eine lang gezogene weiße Wolke gewesen war, hatte sich in eine ausgefranste schwarze Rauchspur verwandelt.
    Voller Panik suchten seine Augen den Himmel ab und erfassten einen Schwindel erregenden Reigen von Bildern. Ein Feuer hoch oben in der Luft. Ein Teufelsdreizack aus Rauch. Trümmerfetzen, die ins Meer hinabstürzten.
    Wir haben keinen Empfang.
    Schweißgebadet und nach Luft ringend erwachte er. Es war taghell, und die Sonne schien brütend heiß durch sein Schlafzimmerfenster.
    Stöhnend setzte er sich auf die Bettkante und vergrub den Kopf in den Händen. Er hatte am Abend zuvor die Klimaanlage nicht eingeschaltet, und jetzt war das Zimmer wie ein Backofen. Er stand auf und ging hinüber, um sie einzuschalten. Dann ließ er sich wieder aufs Bett fallen und atmete erleichtert auf, als er den kühlen Luftstrom auf seiner Haut spürte.
    Wieder der alte Albtraum.
    Er rieb sich das Gesicht und versuchte die Bilder zu vertreiben, doch sie waren zu tief in sein Gedächtnis eingegraben. Es war sein erstes Jahr am College gewesen, als die
Challenger
explodiert war. Er war gerade durch den Aufenthaltsraum des Wohnheims gegangen, als die ersten Bilder der Katastrophe auf dem Fernsehschirm erschienen waren. An diesem und an den darauf folgenden Tagen hatte er sich die schrecklichen Aufnahmen immer wieder angesehen, hatte sie so tief in sein Unterbewusstsein

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