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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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unter dem Mikroskop aussah?
    Er setzte den Behälter in den Plexiglas-Schutzkasten ein und steckte die Hände in die Handschuhe, die an den Rändern der beiden seitlichen Öffnungen befestigt waren. Falls etwas auslaufen sollte, würde aus dem Kasten jedenfalls nichts nach außen dringen. Flüssigkeiten, die sich im schwerelosen Raum frei ausbreiteten, konnten an den elektrischen Leitungen der Station großen Schaden anrichten. Vorsichtig löste er den Verschluss. Er wusste, dass der Inhalt unter Druck stand, die Wölbung des Deckels war deutlich zu sehen. Dennoch war er geschockt, als der Verschluss plötzlich wie ein Sektkorken herausschoss.
    Er zuckte zurück, als ein blaugrünes Klümpchen gegen die Innenseite des Kastens klatschte. Dort blieb es einen Moment lang zitternd wie ein lebendes Wesen hängen. Es
war
ja auch lebendig: eine Masse von Mikroorganismen, verbunden zu einer gallertartigen Matrix.
    »Bill, wir müssen uns unterhalten.«
    Die Stimme schreckte ihn auf. Rasch verschloss er den Kulturbehälter wieder und drehte sich um. Er sah sich Michael Griggs gegenüber, der soeben hereingekommen war. Direkt hinter ihm schwebte Diana.
Die Weltraum-Schickeria,
dachte Bill. Beide wirkten perfekt gestylt und athletisch in ihren marineblauen NASA-Hemden und ihren kobaltblauen Shorts.
    »Diana hat mir gesagt, dass du Probleme hast«, begann Griggs. »Wir haben gerade mit Houston gesprochen, und die sind der Meinung, du solltest es vielleicht mal mit Medikamenten versuchen. Nur damit du die nächsten paar Tage durchstehst.«
    »Jetzt habt ihr es geschafft, dass die da unten sich Gedanken machen, was?«
    »Sie machen sich Sorgen um dich, wie wir alle.«
    »Hör mal, was ich da über das CRV gesagt habe, war purer Sarkasmus.«
    »Aber es macht uns nervös.«
    »Ich brauche kein Valium. Lasst mich einfach nur in Ruhe.«
    Er zog das Röhrchen aus dem Handschuhschutzkasten heraus und stellte es zurück an seinen Platz in der Zellkulturanlage. Er war jetzt zu aufgebracht, um daran weiterzuarbeiten.
    »Es ist unbedingt notwendig, dass wir dir vertrauen können, Bill. Wir sind hier oben alle aufeinander angewiesen.«
    Wütend drehte Bill sich um und sah ihn an. »Siehst du hier vielleicht einen tobsüchtigen Irren vor dir? Glaubst du das wirklich?«
    »Du denkst jetzt nur an deine Frau. Ich verstehe das. Und …«
    »Du verstehst das bestimmt nicht. Ich wage doch daran zu zweifeln, dass du zurzeit allzu viele Gedanken an
deine
Frau verschwendest.« Mit einem viel sagenden Blick in Dianas Richtung stieß er sich ab und schwebte durch die Laborkapsel in den Verbindungsknoten. Er wollte sich gerade in das Wohnmodul begeben, als er Luther erblickte, der dort mit der Vorbereitung für das Mittagessen beschäftigt war.
    Nirgendwo kann man sich verstecken. Nirgends ist man allein.
    Plötzlich schossen ihm die Tränen in die Augen, und er zog sich von der Luke in die Kuppel zurück.
    Er kehrte den anderen den Rücken zu und starrte durch das Fenster zur Erde hinunter. Schon tauchte wieder die amerikanische Pazifikküste auf. Noch ein Sonnenaufgang, noch ein Sonnenuntergang.
    Noch eine Ewigkeit des Wartens.
    Kenichi beobachtete, wie Griggs und Diana, angetrieben durch genau bemessene Stöße ihrer Beine, aus der Laborkapsel herausschwebten. Sie bewegten sich mit solcher Anmut, dass sie wie blonde Götter schienen. Er beobachtete sie oft, ohne dass sie es merkten. Besonders gerne schaute er Diana Estes an; diese Frau war von einer so vornehmen Blässe, dass sie fast durchscheinend wirkte.
    Nachdem sie fort waren, blieb er allein im Labor zurück. Jetzt konnte er sich entspannen. In der Station herrschte so viel Zwietracht. Das machte ihn nervös und beeinträchtigte seine Konzentration. Er war von Natur aus still und ruhig und arbeitete am liebsten allein. Er verstand zwar recht gut Englisch, doch das Sprechen bereitete ihm Mühe, sodass er es sehr anstrengend fand, sich mit den anderen zu unterhalten. Er fühlte sich wesentlich wohler, wenn er sich allein und in aller Stille seiner Arbeit widmen konnte, bei der ihm nur die Labortiere Gesellschaft leisteten.
    Durch das Sichtfenster warf er einen Blick auf die Mäuse im Versuchstierkomplex und lächelte. Auf der einen Seite des Trenngitters waren zwölf Männchen, auf der anderen zwölf Weibchen. Als kleiner Junge in Japan hatte er Kaninchen gezüchtet, und es hatte ihm Freude gemacht, sie im Schoß zuhalten und zu streicheln. Diese Mäuse waren allerdings keine Schoßtiere, sie

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