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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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eingeführt und über die Speiseröhre in den Magen geschoben worden. Ein Katheter leitete den Urin ab, und durch zwei intravenöse Katheter sickerten diverse Flüssigkeiten in ihre Venen. An ihrem Handgelenk war ein arterieller Zugang gelegt worden, und über den Oszillographen flimmerten ständig ihre Blutdruckwerte. Jack warf einen Blick auf die Infusionsbeutel, die über ihrem Bett hingen, und sah, dass sie starke Antibiotika enthielten. Ein schlechtes Zeichen, es bedeutete, dass sie sich eine Infektion zugezogen hatte – nicht ungewöhnlich bei einer Patientin, die seit zwei Wochen im Koma lag. Jede Verletzung der Haut, jeder Plastikschlauch konnte als Einfallstor für Bakterien dienen, und in Debbies Blutbahnen tobte jetzt eine heftige Schlacht.
    Das alles erfasste Jack mit einem Blick, doch Debbies Mutter, die am Bett saß und die Hand ihrer Tochter hielt, sagte er nichts davon. Debbies Gesichtshaut war schlaff, ihr Unterkiefer hing herab, und ihre Augenlider waren nur halb geschlossen. Sie lag immer noch in einem tiefen Koma, in dem sie nichts wahrnahm, nicht einmal Schmerzen.
    Margaret blickte auf, als Jack das Abteil betrat, und begrüßte ihn mit einem Nicken. »Sie hatte eine schlimme Nacht«, sagte Margaret. »Sie hat Fieber, und sie wissen nicht, wo es herkommt.«
    »Die Antibiotika werden ihr helfen.«
    »Und dann? Wir behandeln die Infektion, aber was passiert danach?« Margaret holte tief Luft. »Sie würde das nicht wollen. All diese Schläuche. All diese Nadeln. Sie würde wollen, dass wir sie loslassen.«
    »Es ist zu früh, um vom Aufgeben zu sprechen. Ihr EEG ist noch aktiv. Sie ist nicht hirntot.«
    »Und warum wacht sie dann nicht auf?«
    »Sie ist jung. Sie hat ihr Leben noch vor sich.«
    »Das ist doch kein Leben!« Margaret sah auf die Hand ihrer Tochter. Sie war blau geschwollen von den Einstichen und Kanülen. »Als ihr Vater im Sterben lag, hat Debbie mir gesagt, sie würde nie so enden wollen. Ans Bett gefesselt und durch Schläuche ernährt. Ich muss immer wieder daran denken – an das, was sie gesagt hat …« Margaret sah wieder auf. »Was würden Sie tun, wenn sie Ihre Frau wäre?«
    »Ich würde nie auf die Idee kommen, aufzugeben.«
    »Selbst wenn sie Ihnen gesagt hätte, dass sie nicht so enden wollte?«
    Er dachte einen Augenblick nach. Dann sagte er voller Überzeugung: »Am Ende wäre es doch
meine
Entscheidung. Egal, was sie oder sonst jemand mir gesagt hätte. Ich würde nie einen Menschen aufgeben, den ich liebe. Niemals. Nicht, solange ich noch die geringste Chance hätte, diesen Menschen zu retten.«
    Seine Worte waren kein Trost für Margaret. Er hatte nicht das Recht, ihre Überzeugungen in Frage zu stellen, das, was sie instinktiv für richtig hielt. Doch sie hatte ihn nach seiner Meinung gefragt, und er hatte mit dem Herzen und nicht mit dem Kopf geantwortet.
    Er fühlte sich plötzlich schuldig. Verlegen klopfte er Margaret auf die Schulter und ließ sie mit ihrer Tochter allein. Sehr wahrscheinlich würde die Natur ihnen die Entscheidung abnehmen. Eine komatöse Patientin mit einer systemischen Infektion steht bereits an der Schwelle des Todes.
    Niedergeschlagen verließ er die Intensivstation und trat in den Aufzug. Was für eine deprimierende Art, seinen Urlaub zu beginnen. Als Erstes, beschloss er, als er im Erdgeschoss ausstieg, würde er sich im Laden an der Ecke ein Sechserpack Bier kaufen. Genau das brauchte er jetzt: ein eisgekühltes Bier, und dann den Nachmittag mit dem Beladen des Segelboots verbringen. Das würde ihn von Debbie Haning ablenken.
    »Code Blau, chirurgische Intensivstation. Code Blau, chirurgische Intensivstation.«
    Die Durchsage aus der Lautsprecheranlage ließ ihn auffahren.
Debbie,
dachte er und rannte zum Treppenhaus.
    In ihrem Abteil auf der Intensivstation drängte sich bereits das Personal. Er bahnte sich einen Weg hinein und warf sofort einen Blick auf den Monitor.
Kammerflimmern!
Ihr Herz war nur noch ein zitterndes Muskelbündel, unfähig zu pumpen, unfähig, ihr Gehirn am Leben zu halten.
    »Eine Ampulle Adrenalin läuft!«, rief eine der Schwestern.
    »Alles zurück!«, befahl ein Arzt, während er die Defibrillator-Platten auf Debbies Brust legte.
    Jack sah, wie der Körper sich aufbäumte, als der Defibrillator sich entlud, und wie das EKG ausschlug, nur um sogleich wieder auf die Grundlinie zurückzufallen. Immer noch Kammerflimmern.
    Eine Schwester verabreichte der Patientin eine Herzmassage; ihr kurzes blondes Haar

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