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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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wippte im Rhythmus der Pumpbewegungen auf und ab. Debbies Neurologe, Dr. Salomon, stand neben dem Bett und sah auf, als Jack zu ihm trat.
    »Ist das Amiodaron drin?«, fragte Jack.
    »Läuft schon, aber es wirkt anscheinend nicht.«
    Jack sah wieder nach der Herzstromkurve. Die Wellen des Kammerflimmerns wurden immer feiner. Sie näherten sich einer flachen Linie.
    »Wir haben sie schon viermal geschockt«, sagte Salomon.
    »Wir bekommen einfach keinen Rhythmus.«
    »Adrenalin intrakardial?«
    »Jetzt hilft sowieso nur noch Beten. Machen Sie nur.«
    Die Schwester bereitete die Adrenalin-Injektion und reichte Jack die Spritze mit der langen Herzkanüle. In dem Moment, als er danach griff, wusste Jack, dass die Schlacht im Grunde verloren war. Diese Maßnahme würde nichts bewirken. Aber er dachte an Bill Haning, der darauf brannte, zu seiner Frau heimzukehren. Und er dachte daran, was er vor wenigen Minuten zu Margaret gesagt hatte.
    Ich würde nie einen Menschen aufgeben, den ich liebe. Niemals. Nicht, solange ich noch die geringste Chance hätte, diesen Menschen zu retten.
    Er sah auf Debbie hinunter, und für einen irritierenden Moment zog das Bild von Emmas Gesicht vor seinem geistigen Auge vorüber. Er schluckte schwer und sagte: »Massage unterbrechen.«
    Die Schwester nahm die Hände von Debbies Brust.
    Jack desinfizierte rasch die Haut und setzte unterhalb des Schwertfortsatzes am unteren Ende des Brustbeins die Nadel an. Sein eigener Puls jagte, als er die Haut durchbohrte. Mit sanftem Druck führte er die Kanüle in die Brusthöhle ein.
    Ein Blutschwall verriet ihm, dass er im Herzen war.
    Mit einem Druck auf den Kolben injizierte er die gesamte Dosis Adrenalin und zog die Spritze heraus. »Herzmassage wieder aufnehmen«, sagte er und sah nach dem EKG-Monitor.
Komm jetzt, Debbie. Kämpf schon, verdammt noch mal. Lass uns nicht im Stich. Lass Bill nicht im Stich.
    Es war still im Raum, alle Blicke waren auf den Monitor gerichtet. Das EKG flatterte, Zelle für Zelle starb das Herzmuskelgewebe ab. Niemand musste ein Wort sagen, das Scheitern stand ihnen allen ins Gesicht geschrieben.
    Sie ist so jung,
dachte Jack. Sechsunddreißig Jahre.
    Genauso alt wie Emma.
    Es war Dr. Salomon, der die Entscheidung traf. »Lassen wir es gut sein«, sagte er leise. »Todeszeitpunkt elf Uhr fünfzehn.«
    Die Schwester, die die Herzmassage durchgeführt hatte, trat mit ernster Miene einen Schritt zurück. Im grellen Licht der Intensivstation sah Debbies blasser Oberkörper aus wie aus Plastik. Wie eine Schaufensterpuppe. Nicht mehr die fröhliche, lebhafte Frau, die Jack fünf Jahre zuvor bei einer NASA-Party unter dem Sternenhimmel kennen gelernt hatte.
    Margaret trat ein. Einen Augenblick stand sie schweigend da, als erkenne sie ihre eigene Tochter nicht. Dr. Salomon legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte leise: »Es ging alles so schnell. Wir konnten nichts mehr für sie tun.«
    »Er hätte hier sein sollen«, sagte Margaret mit brechender Stimme.
    »Wir haben versucht, sie am Leben zu halten«, erwiderte Dr. Salomon. »Es tut mir Leid.«
    »Mir tut es Leid für Bill«, sagte Margaret. Sie nahm die Hand ihrer Tochter und küsste sie. »Er wollte so gerne hier sein. Das wird er sich nie verzeihen.«
    Jack verließ das Abteil und ließ sich in der Schwesternstation auf einen Stuhl sinken. Margarets Worte klangen ihm noch in den Ohren.
Er hätte hier sein sollen. Das wird er sich nie verzeihen.
    Sein Blick fiel auf das Telefon.
Und was mache ich eigentlich noch hier?,
fragte er sich.
    Er nahm sich die Gelben Seiten vom Schreibtisch der Stationsschwester, hob den Hörer ab und wählte eine Nummer.
    »Hier Lone Star Travel«, antwortete eine Frauenstimme.
    »Ich muss nach Cape Canaveral.«

6
    Cape Canaveral
    Durch das offene Fenster des Mietwagens atmete Jack die feuchte Luft von Merritt Island ein und roch die Dschungeldüfte nach regennasser Erde und Vegetation. Der Zufahrtsweg zum Kennedy Space Center war eine überraschend ländliche Straße, die durch Orangenhaine und vorbei an schäbigen Doughnutbuden und von Unkraut überwucherten Schrottplätzen voller ausrangierter Raketenteile führte. Das Tageslicht wurde schon schwächer, und vor sich erblickte er die Rücklichter von Hunderten von Autos. Der Verkehr staute sich, und schon bald würde er mit seinem Wagen in einer Schlange von Touristen stecken, alle auf der Suche nach einem Parkplatz, von dem aus sie am Morgen den Start beobachten konnten.
    Es hatte keinen

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