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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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sie. »Geht schon mal vor.« Sie wartete, bis ihre Teamkollegen außer Hörweite waren, und wandte sich wieder Jack zu. »Ich muss wirklich gleich zu ihnen. Hör mal, ich weiß, dass dieser Start alles noch komplizierter macht. Wenn du wegen der Scheidungspapiere gekommen bist – ich verspreche dir, alles zu unterschreiben, sobald ich zurück bin.«
    »Ich bin nicht deswegen hier.«
    »Was gibt es denn?«
    Er schwieg einen Moment. »Tja, es ist wegen Humphrey. Wie heißt noch mal sein Tierarzt? Falls er ein Haarknäuel verschluckt oder so.«
    Sie sah ihn fragend an. »Derselbe wie immer. Dr. Goldsmith.«
    »Ach ja. Klar.«
    Sie standen eine Weile schweigend da. Die Sonne brannte auf sie herunter, und er spürte, wie ihm der Schweiß den Rücken hinunterlief. Plötzlich kam sie ihm so klein vor, so zerbrechlich. Und doch war diese Frau schon einmal aus einem Flugzeug abgesprungen. Sie konnte ihn beim Reiten abhängen und ihn schwindlig tanzen. Seine schöne, furchtlose Frau.
    Sie drehte sich zu Bau 30 um, wo ihr Team auf sie wartete.
    »Ich muss gehen, Jack.«
    »Wann geht’s los Richtung Cape?«
    »Sechs Uhr morgens.«
    »Werden all deine Vettern und Cousinen zum Start kommen?«
    »Natürlich.« Sie schwieg einen Moment. »Du wirst nicht da sein, oder?«
    Der
Challenger
-Albtraum stand ihm noch klar und deutlich vor Augen – die unheilvollen Rauchfahnen, die sich am tiefblauen Himmel ausgebreitet hatten.
Ich kann nicht da sein und zuschauen,
dachte er.
Ich ertrage es nicht, mir auszumalen, was passieren könnte.
Er schüttelte den Kopf.
    Sie akzeptierte seine Antwort mit einem kühlen Nicken und einem Blick, der sagte:
Ich kann genauso distanziert sein wie du.
Schon zog sie sich von ihm zurück, wandte sich zum Gehen.
    »Emma.« Er griff nach ihrem Arm und zog sie sanft zu sich herum. »Du wirst mir fehlen.«
    Sie seufzte. »Ja, sicher, Jack.«
    »Ich meine es ernst.«
    »Wochenlang rufst du mich kein einziges Mal an. Und jetzt sagst du, ich werde dir fehlen.« Sie lachte.
    Die Bitterkeit in ihrer Stimme traf ihn wie ein Stich. Und die Wahrheit dessen, was sie gesagt hatte. In den letzten Monaten war er ihr tatsächlich aus dem Weg gegangen. Es hatte ihm wehgetan, in ihrer Nähe zu sein, denn ihr Erfolg ließ ihn sein eigenes Versagen nur umso deutlicher empfinden.
    Es gab keine Hoffnung auf Versöhnung. Das erkannte er schon an dem kalten Blick, mit dem sie ihn jetzt ansah. Es blieb nichts weiter übrig, als sich mit Anstand aus der Affäre zu ziehen.
    Er wandte sich ab; er brachte es einfach nicht mehr fertig, ihr in die Augen zu schauen. »Ich bin nur gekommen, um dir einen guten Flug zu wünschen. Und viel Spaß da oben. Wink mir zu, wenn du über Houston fliegst. Ich halte nach dir Ausschau.«
    Die ISS würde aussehen wie ein Stern, der über den Himmel rast, heller als die Venus.
    »Du winkst aber zurück, okay?«
    Jetzt brachten beide ein Lächeln zustande. Sie würden also doch wie zivilisierte Menschen auseinander gehen. Er breitete die Arme aus, und sie trat einen Schritt näher, damit er sie an sich drücken konnte. Es war eine kurze und unbeholfene Umarmung, als seien sie Fremde, die sich zum ersten Mal begegneten. Er spürte, wie sich ihr Körper an den seinen presste, so warm, so lebendig. Dann riss sie sich los und ging auf das Bodenkontrollgebäude zu.
    Sie blieb nur einmal stehen, um ihm zum Abschied zuzuwinken. Die Sonne schien ihm direkt in die Augen, und durch seine halb geschlossenen Lider erkannte er sie nur als dunkle Silhouette. Der heiße Wind spielte in ihren Haaren, und er wusste, dass er sie noch nie so sehr geliebt hatte wie in diesem Moment, als er dastand und ihr nachschaute, bis sie in dem Gebäude verschwunden war.

19. Juli, Cape Canaveral
    Selbst auf diese Entfernung raubte der Anblick Emma den Atem. Dort auf der Startrampe 39B ragte, in grelles Flutlicht getaucht, das Space-Shuttle
Atlantis
mit seinem riesigen orangefarbenen Treibstofftank und den beiden seitlich montierten Feststoffraketen wie ein mächtiger Leuchtturm in den Nachthimmel. Ganz gleich, wie oft sie es schon erlebt hatte – dieser erste Anblick des hell erleuchteten Shuttle auf seiner Startrampe flößte ihr immer wieder ein Gefühl ehrfürchtiger Scheu ein.
    Die anderen Crewmitglieder, die neben ihr auf dem Asphalt standen, waren ebenso schweigsam. Damit sich ihr Schlafrhythmus verschob, waren sie an diesem Morgen um zwei Uhr geweckt worden. Anschließend hatten sie ihr Quartier im oberen Stockwerk des Test- und

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