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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Notlandeplätzen und Beobachtungsstationen in aller Welt, vom Luftwaffenstützpunkt NORAD in Colorado bis zum Internationalen Flughafen Banjul in Gambia, waren die Blicke von Männern und Frauen auf die Uhr gerichtet.
    Und in diesem Augenblick schicken sich sieben Menschen an, uns ihr Leben anzuvertrauen.
    Jetzt sah Carpenter die Astronauten auf dem internen Fernsehmonitor. Mitarbeiter des Bodenteams halfen ihnen gerade in ihre orangefarbenen Druckanzüge. Die Bilder kamen live aus Florida, jedoch ohne Ton. Carpenter hielt einen Moment inne und versuchte, in ihren Gesichtern zu lesen. Obwohl keiner von ihnen die geringste Spur von Angst erkennen ließ, wusste er, dass die Angst da war, irgendwo hinter den strahlenden Mienen. Der rasende Puls, der Kick der Nervosität. Sie kannten die Risiken, und sie mussten einfach Angst haben. Sie auf dem Bildschirm zu sehen brachte dem Bodenpersonal noch einmal mit aller Deutlichkeit zu Bewusstsein, dass hier sieben Menschen waren, die sich hundertprozentig auf sie verließen.
    Carpenter riss sich vom Bildschirm los und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf sein Team von Controllern, das die sechzehn Konsolen besetzte. Obwohl er alle Mitglieder des Teams beim Namen kannte, redete er sie mit ihren Funktionsbezeichnungen an, wobei er die Titel wie im NASAJargon üblich zu griffigen Rufnamen abkürzte. So hörte der Führungsoffizier oder Guidance Officer auf das Kürzel »GDO«, der für die Kommunikation mit der Raumkapsel zuständige Offizier war »Capcom«, und der Ingenieur für die Antriebssysteme hieß »Prop«. Die Flugbahn berechnete der Offizier mit dem hübschen Spitznamen »Traj«, und der Flugarzt hieß einfach »Surgeon«. Carpenter selbst wurde von seinen Leuten »Flight« gerufen.
    Wie vorgesehen wurde der Countdown bei T minus drei Stunden unterbrochen. Die Mission war immer noch klar zum Start.
    Carpenter steckte die Hand in die Hosentasche und klimperte einmal kurz mit seinem Kleeblatt-Schlüsselanhänger. Es war sein heimlicher Glücksbringer. Selbst Ingenieure sind manchmal abergläubisch.
    Dass mir nur ja nichts schief geht,
dachte er.
Nicht während ich Dienst habe.

Cape Canaveral
    Die Fahrt im Astrovan vom Test- und Montagegebäude zur Startrampe 39B dauerte fünfzehn Minuten. Im Bus herrschte eine auffallende Stille; der ganzen Crew schien es die Sprache verschlagen zu haben. Eine halbe Stunde zuvor, beim Anlegen der Anzüge, hatten sie noch Witze gerissen und gelacht, alles in dem scharfen, elektrisierten Ton, der charakteristisch ist für solche Momente, in denen die Nerven vor Aufregung bloß liegen. Die Spannung war kontinuierlich angestiegen, seit sie um zwei Uhr dreißig geweckt worden waren und das traditionelle Frühstück aus Steak und Eiern verzehrt hatten. Während der gesamten Vorbereitungen hindurch, vom Wetterbericht über das Anlegen der Druckanzüge bis hin zum rituellen Pokerspiel kurz vor dem Start, waren sie alle ein wenig zu aufgedreht gewesen und hatten vor Zuversicht strotzend mit den Hufen gescharrt.
    Jetzt aber schwiegen sie.
    Der Bus hielt an. Chenoweth, der Neuling, der neben Emma saß, murmelte: »Ich hätte nie gedacht, dass Windelausschlag zu den Berufsrisiken eines Astronauten gehört.«
    Sie musste lachen. Unter ihren unförmigen Raumanzügen trugen sie allesamt Windeln; schließlich waren es noch drei lange Stunden bis zum Abheben.
    Die Techniker an der Startrampe halfen Emma und den anderen aus dem Bus. Einen Augenblick blieb sie auf der Rampe stehen und blickte staunend zu dem dreißig Stockwerke hohen, von Scheinwerfern hell erleuchteten Shuttle empor. Als sie vor fünf Tagen das letzte Mal an der Rampe gewesen war, hatte sie nur den Seewind und die Vögel hören können. Jetzt war das Raumschiff selbst lebendig geworden; der brodelnde Flüssigtreibstoff im Bauch des riesigen Tanks ließ es grollen und rauchen wie ein erwachendes Ungeheuer.
    Mit dem Lift fuhren sie hinauf zur Ebene 195 und schritten über den Gitterrost des Verbindungsstegs. Es war immer noch Nacht, doch die Rampenbeleuchtung war so stark, dass Emma kaum die Sterne über sich erkennen konnte. Die Finsternis des Alls wartete auf sie.
    In dem sterilen Weißraum halfen Techniker in flusenfreien »Häschenanzügen« einem Crewmitglied nach dem anderen durch die Luke in den Raumtransporter. Der Commander und der Pilot nahmen zuerst Platz. Emma, die für das Mitteldeck eingeteilt war, stieg als Letzte ein. Sie machte es sich auf ihrem gepolsterten Sitz bequem.

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