Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
Sekundenbruchteil in Rauch aufgehen konnte.
    »Sully?«
    »Vergiss es«, sagte er. »Mein Bruder hat Besseres zu tun, als seine Zeit mit Verlieren zu vergeuden.« Und warf die Zeitung in den Papierkorb.

26. Juli, An Bord der Atlantis
    »He, Watson«, rief Commander Vance zum Mitteldeck herunter. »Kommen Sie doch mal hoch und schauen Sie sich Ihr neues Zuhause an.«
    Emma glitt die Verbindungsleiter empor und kam auf dem Oberdeck heraus, direkt hinter Vance’ Sitz. Beim ersten Blick aus dem Fenster stockte ihr fast der Atem vor Staunen. So nah war sie noch nie an die Station herangekommen. Während ihrer ersten Mission vor zweieinhalb Jahren hatten sie nicht an der ISS angedockt, sondern sie nur aus der Ferne beobachtet.
    »Ein Prachtstück, was?«, meinte Vance.
    »So etwas Schönes habe ich noch nie gesehen«, sagte Emma. Und so war es. Mit den gewaltigen Sonnensegeln, die fächerförmig an dem massiven Rumpfteil befestigt waren, glich die ISS einem majestätischen Segelschiff, das durch den Himmel glitt. Die einzelnen, in sechzehn verschiedenen Ländern produzierten Bauteile waren mit fünfundvierzig verschiedenen Flügen in den Weltraum transportiert worden. Stück für Stück war die Station dann im All fertig gestellt worden. Die Arbeiten hatten fünf Jahre gedauert. Weit mehr als nur ein Triumph der Technik, war die ISS ein Symbol für all das, was der Mensch erreichen konnte, wenn er seine Waffen niederlegte und den Blick zum Himmel richtete.
    »Na, wenn das keine nette Zweitwohnung ist«, sagte Vance. »Ein richtiges Vorzeigeobjekt, wenn Sie mich fragen.«
    »Wir sind genau auf der R-Kurve«, warf der Shuttle-Pilot DeWitt ein. »Nicht schlecht geflogen.«
    Vance verließ den Kommandositz und postierte sich am oberen Fenster des Oberdecks. Sie näherten sich jetzt dem Andockmodul der ISS im Sichtflug. Dies war die heikelste Phase des gesamten hoch komplizierten Rendezvous-Manövers.
Die Atlantis
war in eine erdnähere Umlaufbahn als die der ISS gebracht worden, und die letzten beiden Tage hatten sie mit der dahinsausenden Raumstation Fangen gespielt. Sie würden sich ihr von unten nähern und mit Hilfe der Düsen des RCS, des Reaction Control System zur Feinsteuerung im All, das Shuttle in die genaue Andockposition bringen. Emma hörte, wie die Feinsteuerraketen mit einem dumpfen Krachen zündeten, und spürte, wie der Raumtransporter erzitterte.
    »Schauen Sie mal«, sagte DeWitt. »Dort ist das Sonnensegel, das vorigen Monat was abbekommen hat.« Er zeigte auf einen der Sonnenkollektoren, der von einem klaffenden Loch verunstaltet war. Eine der unausweichlichen Gefahren des Weltalls ist der permanente Regen aus Meteoriten und Weltraumschrott. Selbst ein winziger Gegenstand wird bei einer Geschwindigkeit von mehreren Tausend Stundenkilometern zu einem Geschoss mit verheerender Wirkung.
    Als sie so nahe kamen, dass die Station das ganze Fenster ausfüllte, verspürte Emma ein derart überwältigendes Gefühl von Ehrfurcht und Stolz, dass ihr plötzlich Tränen in die Augen schossen.
Mein neues Zuhause,
dachte sie.
Ich komme nach Hause.
    Die Luke der Druckschleuse ging auf, und vom anderen Ende des Verbindungstunnels, der die
Atlantis
mit der ISS verband, strahlte ihnen ein rundes braunes Gesicht entgegen. »Sie haben Orangen mitgebracht!«, rief Luther Arnes seinen Kollegen in der Station zu. »Ich kann sie riechen!«
    »Hier ist der NASA-Lieferdienst«, sagte Commander Vance trocken. »Ihre Lebensmittel sind eingetroffen.« Mit einer Plastiktüte voll frischem Obst in der Hand schwebte er durch die Druckschleuse der
Atlantis
in die Raumstation.
    Es war ein perfektes Andockmanöver gewesen. Während beide Raumschiffe mit 28.000 Stundenkilometern die Erde umkreisten, hatte Vance das Shuttle ganz behutsam mit einer Geschwindigkeit von fünf Zentimetern pro Sekunde an die ISS herangeführt, bis das Andockmodul der
Atlantis
fest in der Anschlussstelle der ISS eingerastet war.
    Jetzt waren die Luken geöffnet, und die Crew der
Atlantis
schwebte in die Raumstation hinüber, wo sie mit Händeschütteln, Umarmungen und dem freudigen Lächeln von Menschen begrüßt wurden, die seit Monaten keine neuen Gesichter mehr gesehen haben.
    Emma wechselte als Fünfte in die Station hinüber. Sie tauchte aus dem Verbindungstunnel auf und atmete sogleich eine merkwürdige Mischung von Düften ein, überlagert von dem leicht säuerlichen Geruch von Menschen, die zu lange in einem geschlossenen Raum eingesperrt waren. Luther

Weitere Kostenlose Bücher