In der Schwebe
Arnes, ein alter Freund aus der Zeit ihrer Astronautenausbildung, begrüßte sie zuerst.
»Dr. Watson, nehme ich an!«, rief er mit seinem dröhnenden Bass und drückte sie an seine Brust. »Willkommen an Bord. Je mehr Ladys, desto lustiger wird’s.«
»He, du weißt doch, dass ich keine Lady bin.«
Er blinzelte ihr zu. »Das bleibt aber unter uns.« Luthers gute Laune hatte schon immer einen ganzen Raum füllen können. Alle mochten Luther, weil Luther jeden mochte. Emma war froh, ihn an Bord zu haben.
Besonders wenn sie sich unter ihren anderen Stationskollegen umschaute. Sie gab zuerst Michael Griggs die Hand und fand seine Begrüßung höflich, aber fast militärisch. Diana Estes, die Engländerin, die von der europäischen Raumfahrtagentur ESA geschickt worden war, schien ihr kaum herzlicher. Sie lächelte, doch ihre Augen waren von einem seltsamen Gletscherblau. Kalt und distanziert.
Anschließend wandte Emma sich dem Russen Nikolai Rudenko zu, der schon am längsten an Bord der ISS war, fast fünf Monate. Die Beleuchtung der Kapsel machte sein Gesicht noch blasser, als es ohnehin schon war; es hatte die gleiche matte Farbe wie seine angegrauten Bartstoppeln. Als sie einander die Hand schüttelten, schien er ihrem Blick auszuweichen.
Dieser Mann muss dringend nach Hause,
dachte sie.
Er ist depressiv. Ausgelaugt.
Kenichi Hirai, der Astronaut der japanischen NASDA, kam als Nächster auf sie zugeschwebt. Er lächelte sie immerhin an und drückte ihr kräftig die Hand. Nachdem er eine Begrüßung gestottert hatte, zog er sich rasch wieder zurück.
Das Modul hatte sich inzwischen fast geleert; der Rest der Gruppe hatte sich auf die anderen Abschnitte der Station verteilt. Sie blieb allein mit Bill Haning zurück.
Debbie Haning war drei Tage zuvor gestorben. Die
Atlantis
würde Bill nach Hause bringen, nicht an Debbies Bett, sondern an ihr Grab. Emma schwebte auf ihn zu. »Es tut mir Leid«, sagte sie leise. »Es tut mir so furchtbar Leid.«
Er nickte nur und wandte sich ab. »Es ist merkwürdig«, sagte er. »Wir dachten immer – wenn irgendetwas passieren würde – dann würde es mir passieren. Ich bin schließlich der große Held in der Familie. Der diese ganzen Risiken auf sich nimmt. Es wäre uns nie in den Sinn gekommen, sie könnte diejenige sein …« Er holte tief Luft. Sie sah, dass er sich krampfhaft bemühte, die Fassung zu wahren, und sie wusste, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt für Sympathiebekundungen war. Selbst eine leise Berührung könnte seine mühsam im Zaum gehaltenen Emotionen zum Ausbruch bringen.
»Nun, Watson«, sagte er schließlich. »Ich denke, ich sollte Sie ein wenig einweisen, schließlich übernehmen Sie meine Aufgaben.«
Sie nickte. »Wann immer Sie Zeit haben, Bill.«
»Machen wir es gleich. Es gibt eine Menge zu erklären, und wir haben nicht allzu viel Zeit für die Wachablösung.«
Obwohl Emma mit dem Aufbau der Raumstation durchaus vertraut war, drehte sich ihr nach ihrer ersten Tour durch das Raumschiff der Kopf. Die Schwerelosigkeit im Orbit hatte zur Folge, dass es kein Oben und Unten gab, weder Decke noch Fußboden. Es gab auch keine Wände im herkömmlichen Sinn, sondern nur funktionale Arbeitsflächen. Sobald sie sich zu schnell in der Luft drehte, verlor sie jegliche Orientierung. Zusammen mit den leichten Anwandlungen von Übelkeit veranlasste sie diese Erfahrung, sich möglichst langsam zu bewegen und die Augen beim Umdrehen immer fest auf einen Punkt zu richten.
Sie wusste, dass der Lebens- und Arbeitsraum der ISS das Volumen von zwei Flugzeugen des Typs Boeing 747 umfasste, doch dieser Raum war auf ein Dutzend Module von der Größe eines Busses aufgeteilt, die an so genannten »Nodes« oder Verbindungsknoten wie Legosteine zusammengesteckt waren. Das Shuttle hatte an Node 2 angedockt. An diesem Element hingen auch die Labormodule der ESA, Japans und der USA. Durch Letzteres gelangte man in die übrigen Abteilungen der Station.
Bill führte sie aus dem US-Labor in den nächsten Verbindungsknoten, Node 1. Hier verharrte er einen Moment, um einen Blick aus der Beobachtungskuppel zu werfen. Unter ihnen drehte sich majestätisch die Erde; milchige Wolken wirbelten über die Ozeane.
»Hier verbringe ich jede freie Minute«, sagte Bill. »Ich schaue einfach nur aus diesen Fenstern. Das hat für mich fast etwas Heiliges. Ich nenne das hier die Kirche der Mutter Erde.« Er riss sich von der Aussicht los und drehte sich vom Fenster weg, um Emma die
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