In der Schwebe
fragte sie und zeigte auf den Fernseher.
Der Kellner zuckte mit den Achseln.
»Stellen Sie es lauter!«, rief sie dem Barkeeper zu. »Bitte, ich muss das hören!«
Er drehte am Lautstärkeregler, und sogleich war der englischsprachige Kommentar zu hören. Ein amerikanischer Sender. Helen ging an den Tresen und starrte gebannt auf den Bildschirm.
»… wird der Astronaut Kenichi Hirai aus medizinischen Gründen evakuiert. Die NASA hat keine weiteren Informationen verlauten lassen, doch Berichte deuten darauf hin, dass seine Erkrankung die Ärzte der Weltraumbehörde weiterhin vor ein Rätsel stellt. Die Ergebnisse der heutigen Blutuntersuchungen ließen eine Rückholung per Shuttle geraten erscheinen. Die
Discovery
soll morgen früh um sechs Uhr Ortszeit von Cape Canaveral aus starten.«
»
Señora?
«, fragte der Kellner.
Helen drehte sich um und sah, dass er immer noch seinen Notizblock in der Hand hielt. »Möchten Sie noch einen Drink?«
»Nein. Nein, ich muss gehen.«
»Aber Ihr Essen …«
»Streichen Sie meine Bestellung. Bitte.« Sie öffnete ihre Geldbörse, drückte ihm fünfzehn Dollar in die Hand und eilte nach draußen.
Von ihrem Hotelzimmer aus versuchte sie Palmer Gabriel in San Diego anzurufen. Erst nach dem sechsten Versuch kam sie zur internationalen Vermittlung durch, und als die Verbindung endlich stand, erreichte sie nur Palmers Voicemail.
»Sie haben einen kranken Astronauten an Bord der ISS«, sagte sie. »Palmer, das ist genau das, was ich befürchtet habe. Wovor ich Sie alle gewarnt habe. Wenn es sich bestätigt, müssen wir sehr schnell handeln. Bevor …« Sie brach ab und sah nach der Uhr.
Ach, zum Teufel,
dachte sie.
Ich muss zurück nach San Diego. Ich bin die Einzige, die weiß, was hier zu tun ist. Sie brauchen mich.
Sie stopfte ihre Kleider in den Koffer, gab den Zimmerschlüssel ab und stieg in ein Taxi, das sie zu dem fünfundzwanzig Kilometer entfernten winzigen Flugplatz von Buena Vista bringen sollte. Dort würde ein kleines Flugzeug auf sie warten, das sie nach La Paz brachte, und von dort würde sie einen Linienflug nach San Diego bekommen.
Es war eine ungemütliche Fahrt, die Straße war holprig und kurvenreich, und durch die offenen Fenster wehte der Staub herein. Aber wovor sie sich wirklich fürchtete, war der bevorstehende Flug. Kleine Flugzeuge versetzten sie in Panik. Hätte sie es nicht so eilig gehabt, nach Hause zu kommen, hätte sie die lange Fahrt über die Halbinsel von Baja California in ihrem eigenen Wagen gemacht, der jetzt sicher in der Ferienanlage geparkt war. Mit verschwitzten Händen klammerte sie sich an die Armlehne und malte sich aus, welches fürchterliche Flugunglück auf sie wartete.
Dann sah sie ein Stück des klaren und samtschwarzen Nachthimmels und dachte an die Menschen an Bord der Raumstation. Sie dachte an die Risiken, die andere, mutigere Menschen eingingen. Es war alles eine Frage der Perspektive. Ein Flug in einer kleinen Propellermaschine ist nichts im Vergleich zu den Gefahren, denen ein Astronaut sich zu stellen hat.
Sie durfte jetzt nicht feige sein. Es ging womöglich um Leben oder Tod. Und sie war die Einzige, die wusste, wie die Gefahr abzuwenden war.
Plötzlich hörte das durch Mark und Bein gehende Rütteln auf. Gott sei Dank, sie fuhren jetzt auf einer asphaltierten Straße, und es waren nur noch wenige Kilometer bis Buena Vista.
Der Fahrer, der merkte, wie eilig sein Gast es hatte, trat aufs Gaspedal, und der Wind peitschte durch die offenen Fenster und wirbelte ihr Staubkörner ins Gesicht. Sie griff nach dem Hebel, um die Scheibe hochzudrehen. Plötzlich spürte sie, wie der Wagen nach links ausscherte, um ein langsames Auto zu überholen. Sie blickte auf und sah mit Entsetzen, dass sie sich in einer Kurve befanden.
»
Señor! Más despacio!
«, rief sie.
Fahren Sie langsamer.
Sie waren jetzt auf gleicher Höhe mit dem anderen Wagen. Der Taxifahrer gab weiter Gas, er wollte die gewonnenen Sekunden auf keinen Fall verschenken. Vor ihnen machte die Straße eine Linkskurve und verschwand hinter einer Kuppe.
»Nicht überholen!«, rief sie. »Bitte nicht …« Sie sah nach vorne und erstarrte, als die Scheinwerfer des entgegenkommenden Wagens sie blendeten.
Sie hob die Arme, um ihr Gesicht zu schützen, um nicht in dieses grelle Licht blicken zu müssen. Doch vor dem Geräusch der kreischenden Reifen konnte sie sich nicht schützen, ebenso wenig wie vor ihrem eigenen entsetzten Schrei, als die Scheinwerfer auf
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