In der Schwebe
Golf hatte eine stete Brise geweht; hier aber regte sich kein Lüftchen, und es war erdrückend schwül.
Er machte an seiner Anlegestelle fest und trat, ein wenig schwankend nach den Tagen auf hoher See, auf den Pier.
Als Erstes steht eine kalte Dusche auf der Tagesordnung, dachte er. Das Boot versorge ich am Abend, wenn es etwas kühler ist. Und was Humphrey betrifft – nun, ein weiterer Tag im Tierheim wird dem kleinen Fellknäuel nicht schaden.
Mit dem Seesack über der Schulter marschierte er über den Pier. Als er an dem kleinen Lebensmittelladen des Jachthafens vorbeikam, fiel sein Blick auf den Zeitungsständer. Der Seesack entglitt ihm und fiel zu Boden. Er stand da und starrte auf die Schlagzeile der Morgenausgabe der
Houston Chronicle:
»Countdown für Shuttle-Sondereinsatz hat begonnen – Start für morgen geplant.«
Was ist passiert?
dachte er.
Was ist bloß schief gegangen?
Mit zitternden Händen zog er ein paar Münzen aus der Tasche, steckte sie in den Schlitz und nahm sich eine Zeitung. Der Artikel war mit zwei Fotos versehen. Das eine zeigte Kenichi Hirai, den NASDA-Astronauten aus Japan. Das andere Emma.
Er schnappte seinen Seesack und rannte los, um ein Telefon zu suchen.
Bei der Besprechung waren drei Flugärzte zugegen – für Jack ein Zeichen, dass die Krise, mit der sie es zu tun hatten, in der Tat medizinischer Natur war. Als er den Raum betrat, drehten sich alle überrascht nach ihm um. In den Augen von Woody Ellis, dem Flugdirektor der ISS, las er die unausgesprochene Frage:
Seit wann gehört Jack McCallum denn wieder dazu?
Dr. Todd Cutler gab die Antwort: »Jack hat bei der Entwicklung unseres medizinischen Notfallplans für die erste Besatzung der Station mitgewirkt. Ich war der Meinung, er sollte dabei sein.«
Ellis schien Bedenken zu haben. »Der persönliche Aspekt verkompliziert die Sache«, sagte er. Was er meinte, war Emma. »Alle Crewmitglieder sind für uns wie Familienmitglieder«, entgegnete Todd. »So gesehen kann man den persönlichen Aspekt gar nicht ausschließen.«
Jack nahm neben Todd Platz. Am Tisch saßen außerdem der stellvertretende Direktor des Shuttle-Programms NSTS, der ISS-Einsatzleiter, die Flugärzte sowie verschiedene Programm-Manager. Ebenfalls anwesend war die Pressesprecherin der NASA, Gretchen Liu. Im Grunde ignorierten die Nachrichtenmedien die Arbeit der NASA, sofern nicht gerade ein Start anstand. Heute jedoch drängten sich Journalisten sämtlicher Nachrichtenagenturen in dem winzigen Presseraum des NASA-Medienzentrums, wo sie auf Gretchens Erscheinen warteten.
Wie schnell sich die Dinge doch ändern können,
dachte Jack. Es war schwer, die Aufmerksamkeit der wankelmütigen Öffentlichkeit zu erregen. Sie verlangte Explosionen, Tragödien, Krisen. Das Wunder einer fehlerlosen Operation lockte niemanden hinter dem Ofen hervor.
Todd reichte ihm einen Stapel Papiere. Auf das oberste hatte er eine Notiz gekritzelt: »
Hirais Labor- und Untersuchungsergebnisse der letzten 24 Stunden. Willkommen zurück!
«
Jack blätterte die Berichte durch, während er die Besprechung verfolgte. Er hinkte den Entwicklungen um einen ganzen Tag hinterher und brauchte eine Weile, bis er die wesentlichen Fakten erfasst hatte. Der Astronaut Kenichi Hirai war ernstlich erkrankt, seine Laborwerte waren allen ein Rätsel. Das Shuttle
Discovery
stand bereit zum Start, der für 6 Uhr morgens Ortszeit vorgesehen war. Die Besatzung bestand aus Kittredges Crew, ergänzt durch einen Flugarzt. Der Countdown verlief planmäßig.
»Hat sich an Ihren Empfehlungen irgendetwas geändert?«, fragte der stellvertretende NSTS-Direktor die Ärzte. »Sind Sie immer noch der Meinung, dass Hirai auf eine Shuttle-Evakuierung warten kann?«
Todd Cutler antwortete ihm. »Wir halten das immer noch für die sicherste Alternative. In dieser Hinsicht hat sich an unseren Empfehlungen nichts geändert. Die ISS hat eine recht gute medizinisch-technische Ausstattung; alle Medikamente und Apparaturen für eine kardiopulmonale Reanimation sind an Bord.«
»Sie glauben also immer noch, dass er einen Herzinfarkt hatte?«
Todd wechselte Blicke mit seinen Kollegen. »Offen gesagt«, gab er zu, »sind wir uns nicht vollkommen sicher. Es gibt gewisse Anzeichen, die auf einen Myokardinfarkt deuten – also das, was allgemein als Herzinfarkt bezeichnet wird. In erster Linie handelt es sich dabei um den Anstieg von Herzenzymen in seinem Blut.«
»Und warum sind Sie sich dann immer noch nicht
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