In der Schwebe
sie zugeschossen kamen.
3. August
Jack saß hinter der gläsernen Trennwand in der voll besetzten Besuchergalerie, von wo aus er den ganzen Flugkontrollraum sehen konnte. Alle Konsolen waren besetzt, alle Controller für die Fernsehkameras ordentlich herausgeputzt. Die Männer und Frauen, die dort unten arbeiteten, mochten durchaus auf ihre Aufgaben konzentriert sein, dennoch vergaßen sie nie ganz, dass die Augen der Öffentlichkeit auf sie gerichtet waren und dass jede Geste, jedes nervöse Kopfschütteln durch die Glaswand hinter ihnen beobachtet werden konnte. Erst vor einem Jahr hatte Jack selbst während eines Shuttlestarts an der Konsole des Flugarztes gesessen und die Blicke der Fremden wie einen schwachen, aber dennoch störenden Hitzestrahl im Nacken gespürt. Er wusste, dass die Leute dort unten in diesem Moment das Gleiche empfanden.
Im Kontrollraum schien eine Atmosphäre abgeklärter Ruhe zu herrschen, und so klangen auch die Stimmen, die über die Kopfhörer zu vernehmen waren. Dies war genau das Bild, das die NASA zu vermitteln bemüht war: ein Team von Profis, die ihren Job erledigten, und zwar tadellos. Was selten an die Öffentlichkeit drang, waren die Krisen in den hinteren Kontrollräumen, die Beinahe-Katastrophen, die heillose Verwirrung, die ausbrach, wenn wirklich einmal etwas schief ging.
Aber nicht heute,
dachte er.
Carpenter ist am Ruder. Alles wird laufen wie am Schnürchen.
Flugdirektor Carpenter leitete das Bodenkontrollteam. Er war alt und erfahren genug, um im Laufe seiner Karriere eine Vielzahl von Krisen durchlebt zu haben. Er war überzeugt, dass Raumfahrttragödien normalerweise nicht das Ergebnis eines einzelnen schwerwiegenden Defekts waren, sondern vielmehr einer ganzen Reihe kleinerer Probleme, die sich häuften und schließlich zur Katastrophe führten. Deshalb legte er so großen Wert auf Details; für ihn war jede kleine Störung eine potenzielle Krise. Sein Team schaute zu ihm auf – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, denn mit seinen eins fünfundneunzig und zweieinhalb Zentnern Lebendgewicht war Carpenter eine überragende Erscheinung.
Gretchen Liu, die Pressesprecherin, saß ganz links in der letzten Konsolenreihe. Jack sah, wie sie sich umdrehte und der Galerie ein »Alles okay«-Lächeln zuwarf. Sie hatte sich extra fürs Fernsehen in Schale geworfen, marineblaues Kostüm und grauer Seidenschal. Die Mission hatte die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit erregt, und obwohl die meisten Pressevertreter sich in Cape Canaveral versammelt hatten, um den Start zu beobachten, waren noch genug Reporter hier im Kontrollzentrum des JSC, um die Zuschauergalerie bis auf den letzten Platz zu füllen.
Die zehnminütige Unterbrechung des Countdowns ging zu Ende. Sie hörten die endgültige Startfreigabe aus dem Wetterzentrum, und dann wurde der Countdown fortgesetzt. Jack beugte sich vor. Bis zum Moment des Abhebens würden sich die Ereignisse jetzt überschlagen, und seine Muskeln spannten sich an. Da war es wieder, das alte Startfieber. Als er dem Raumfahrtprogramm vor einem Jahr den Rücken gekehrt hatte, war er sich sicher gewesen, dass auch das der Vergangenheit angehörte. Aber jetzt saß er hier und war so aufgeregt wie eh und je. Und mit der Aufregung wurde auch der Traum wieder lebendig. Er stellte sich die Crew vor, in ihren Sitzen festgeschnallt, während das Fahrzeug unter ihnen erbebte und in den Kammern mit flüssigem Sauerstoff und Wasserstoff der Druck stetig anstieg. Er dachte an die Platzangst, die sie überkam, wenn sie ihre Visiere zuklappten. Das Zischen des Sauerstoffs. Das Herzklopfen.
»Jetzt zünden die Feststoffraketen«, sagte der Pressesprecher im Startkontrollzentrum von Kennedy »Und Start! Sie haben abgehoben! Jetzt übernimmt das JSC in Houston …«
Auf dem zentralen Großbildschirm leuchtete die Flugkurve des Shuttle auf, das auf seine vorgeschriebene Bahn in Richtung Osten einschwenkte. Jack war immer noch angespannt, sein Herz raste. Auf den Fernsehmonitoren über der Galerie erschienen aus Kennedy übermittelte Bilder des Shuttle. Der Funkverkehr zwischen dem Capcom und dem Shuttle-Commander lief über die Lautsprecher. Die
Discovery
hatte ihr Rollmanöver vollführt und stieg nun in die oberen Schichten der Atmosphäre auf, wo der blaue Himmel bald der Schwärze des Weltalls weichen würde.
»Sieht alles sehr gut aus«, sagte Gretchen Liu über die Medienleitung. Jack hörte den Triumph eines perfekten Starts aus ihrer Stimme
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