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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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versorgen, aber die Bahnen konnten nach Bedarf umgeleitet – »über Kreuz verlegt« – werden. Sie hatten zwar ein Photovoltaik-Modul verloren, aber es blieben immer noch drei, die sie anzapfen konnten.
    Griggs meinte: »Ich weiß, es ist eine abgedroschene Phrase, aber – es werde Licht!« Er drückte auf eine Taste, und die Beleuchtung im Modul wurde eine Spur heller. Hell genug, um sich zurechtzufinden. »Ich habe die Energieversorgung umgeleitet. Alle entbehrlichen Nutzlastfunktionen sind vom Netz.« Er atmete tief durch und sah Nikolai an. »Wir müssen mit Houston Kontakt aufnehmen. Jetzt sind Sie gefragt, Nikolai.«
    Der Russe wusste sofort, was er zu tun hatte. Die Bodenkontrolle in Moskau unterhielt eine eigene, getrennte Funkverbindung zur Station. Das russische Ende der ISS war bei der Kollision vermutlich nicht beschädigt worden.
    Er nickte kurz. »Hoffen wir nur, dass die in Moskau ihre Stromrechnung bezahlt haben.«
    ITEM 3-7-EXEC ITEM 3-8-EXEC OPS 3-0-4 PRO
    Die Schmerzen raubten Jill Hewitt fast den Atem, und jedes Mal, wenn sie auf der Steuerkonsole eine Taste drückte, stieß sie ein leises Wimmern aus. Ihr Kopf fühlte sich an wie eine Melone kurz vor dem Zerplatzen. Ihr Gesichtsfeld hatte sich verengt, sodass sie das Gefühl hatte, durch einen langen schwarzen Tunnel zu blicken. Die Armaturen schienen so weit entfernt, dass sie kaum dran kam. Sie brauchte den letzten Rest an Konzentration, um mit unsicheren Bewegungen ihrer Finger die richtigen Knöpfe und Tasten zu treffen. Jetzt versuchte sie verzweifelt, den Fluglageanzeiger abzulesen. Das Display verschwamm und flimmerte wie wild vor ihren Augen.
Ich kann es nicht sehen. Ich kann die Koordinaten nicht ablesen …
    »
Discovery,
Sie sind an der Eintrittsgrenze«, sagte der Capcom. »Rumpfklappe auf Auto.«
    Jill blinzelte und griff nach dem Schalter auf der Konsole, doch er schien so weit weg …
    »
Discovery?
«
    Ihr zitternder Finger berührte den Schalter. Sie stellte ihn auf »Auto«. »Ausgeführt«, flüsterte sie und ließ die Schultern hängen. Die Computer hatten die Steuerung übernommen, sie flogen das Raumschiff. Sie traute sich nicht mehr zu, den Steuerhebel zu bedienen. Sie wusste nicht einmal, wie lange sie sich noch bei Bewusstsein halten konnte. Schon engte der schwarze Tunnel ihr Gesichtsfeld immer mehr ein und verschluckte alles Licht. Jetzt hörte sie zum ersten Mal das Geräusch der Luft, die am Rumpf entlangstrich, und spürte, wie sie in ihren Sitz hineingedrückt wurde.
    Die Stimme des Capcom war nicht mehr zu hören. Sie war im Funkloch, das so lange andauern würde, wie das Raumschiff mit solcher Geschwindigkeit durch die Atmosphäre schoss, dass die Luftmoleküle ionisiert wurden. Dieser elektromagnetische Sturm unterbrach alle Funkwellen und machte jegliche Kommunikation unmöglich. In den nächsten zwölf Minuten gab es nichts als sie, das Schiff und das Tosen der Luft.
    Sie hatte sich noch nie so allein gefühlt.
    Sie merkte, wie der Autopilot zum ersten Mal in eine lang gezogene S-Kurve ging. Der Raumtransporter rollte zur Seite und wurde langsamer. Sie konnte sich die glühende Hitze an den Fenstern des Cockpits vorstellen, konnte die Wärme wie Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht spüren.
    Sie schlug die Augen auf. Und sah nur Dunkelheit.
    Wo sind die Lichter?,
dachte sie.
Wo ist der Lichtschein im Fenster geblieben?
    Sie blinzelte ein ums andere Mal. Rieb ihre Augen, als könne sie sie damit zum Sehen zwingen, als könne sie ihre Netzhäute dazu bringen, Licht in sich aufzunehmen. Sie streckte die Hand nach der Steuerkonsole aus. Wenn sie nicht die richtigen Schalter bediente, wenn sie nicht die Sonden für die Luftdatenmessung aktivierte und das Fahrgestell ausfuhr, konnte Houston das Raumschiff nicht landen. Dann würden sie es nicht schaffen, sie lebend herunterzuholen. Ihre Finger streiften über ein verwirrendes Labyrinth von Anzeigen und Knöpfen, und sie heulte vor Verzweiflung laut auf. Sie war blind.

15
    Das Raketentestgelände von White Sands lag 1247 Meter über dem Meeresspiegel, und die Luft dort war trocken und dünn. Der Flugplatz erstreckte sich über eine vor Urzeiten vom Meer bedeckte Ebene in einem Wüstental, das zwischen dem Sacramento- und dem Guadalupe-Gebirge im Osten und den San-Andres-Bergen im Westen lag. Die nächste Stadt war Almogordo in New Me xico. Die Landschaft war kahl und ausgedörrt, nur die widerstandsfähigste Wüstenvegetation konnte hier überleben.
    White Sands

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