In der Schwebe
dem Lautsprecher ertönte eine Stimme: »Neben Ihnen ist ein Regal mit Socken. Ziehen Sie ein Paar an und gehen Sie durch die Tür.«
Er gehorchte.
Im nächsten Zimmer wartete eine Frau auf ihn, die ebenfalls grüne Krankenhauskleidung trug. In schroffem Ton und ohne die Spur eines Lächelns wies sie ihn an, sterile Handschuhe anzuziehen. Dann riss sie mit aggressiven Bewegungen Streifen von einer Rolle Klebeband und dichtete damit seine Ärmel und Hosenaufschläge ab. Die Armee hatte sich vielleicht mit Jacks Besuch abgefunden, doch man ließ keinen Zweifel daran, dass er alles andere als ein willkommener Gast war. Die Frau setzte ihm einen Kopfhörer mit Mikrofon auf und gab ihm eine »Snoopy-Mütze«, eine Art Badekappe, die das Abrutschen des Kopfhörers verhindern sollte.
»Jetzt den Anzug anlegen«, blaffte sie.
Nun war also der Raumanzug an der Reihe. Dieser hier war blau und besaß integrierte Handschuhe. Als die unfreundliche Assistentin ihm die Haube aufsetzte, durchfuhr ihn plötzlich ein schrecklicher Gedanke. In ihrem Zorn auf ihn könnte die Frau die Sache sabotieren und dafür sorgen, dass er nicht vollständig gegen Kontamination geschützt war.
Sie machte den Verschluss an der Brust zu, verband einen Schlauch, der an der Wand hing, mit dem Anzug, und Jack spürte, wie die Luft zischend hineinströmte. Jetzt war es zu spät, sich darüber Gedanken zu machen, was passieren könnte. Er war bereit, den Schritt in die heiße Zone zu wagen.
Die Frau zog den Schlauch wieder aus dem Ventil und deutete auf die nächste Tür.
Er ging hindurch und befand sich nun in der Luftschleuse. Die Tür wurde hinter ihm zugeschlagen. Ein Mann in einem Raumanzug wartete auf ihn. Er sagte nichts, sondern bedeutete Jack nur mit Gesten, er solle ihm durch die gegenüberliegende Tür folgen.
Sie traten durch die Tür in einen Korridor, über den sie in den Autopsieraum gelangten.
Dort sah Jack einen Tisch aus rostfreiem Stahl, auf dem eine der Leichen lag, immer noch in ihren schwarzen Plastiksack gehüllt. Zwei Männer in Raumanzügen standen bereits zu beiden Seiten des Tisches. Einer von ihnen war Dr. Roman. Er drehte sich um und erkannte Jack.
»Fassen Sie nichts an. Mischen Sie sich nicht ein. Sie sind nur als Beobachter hier, Dr. McCallum, also kommen Sie uns bloß nicht in die Quere.«
Nette Begrüßung.
Sein Begleiter mit dem Raumanzug schloss einen Wandschlauch an Jacks Anzug an, und diesmal strömte die Luft mit lautem Zischen in seinen Helm. Ohne den Kopfhörer hätte er nichts von dem verstehen können, was die drei Männer sagten.
Dr. Roman und seine zwei Kollegen öffneten den Leichensack.
Jack stockte der Atem; er spürte, wie seine Kehle sich zusammenzog. Es war Till Hewitts Leiche. Sie hatte keinen Helm mehr auf, doch sie trug immer noch den orangefarbenen Druckanzug mit ihrem aufgestickten Namenszug. Auch ohne diesen Hinweis hätte Jack gewusst, dass es Jill war. Er erkannte sie an ihrem seidigen, kastanienbraunen Haar. Es war kurz geschnitten und hier und da leicht ergraut. Ihr Gesicht sah merkwürdig unversehrt aus. Sie hatte die Augen halb offen, und beide Lederhäute wiesen eine erschreckend grellrote Färbung auf.
Roman und seine Mitarbeiter öffneten den Reißverschluss des Druckanzugs und entkleideten die Leiche vollständig. Das feuerfeste Gewebe ließ sich nicht zerschneiden; sie mussten es mühsam abziehen. Sie arbeiteten schnell und geschickt, und ihre Kommentare waren nüchtern und sachlich, ohne jede Spur von Emotionalität. Ohne ihre Kleider sah die Tote wie eine lädierte Puppe aus. Beide Hände waren durch multiple Frakturen zu einer Masse von Knochensplittern entstellt. Auch ihre Beine waren gebrochen, die Unterschenkel in unmöglichen Winkeln abgeknickt. Die Spitzen zweier gebrochener Rippen hatten sich durch die Haut nach außen gebohrt, und an den schwarzen Blutergüssen konnte man erkennen, wo ihr die Sitzgurte ins Fleisch geschnitten hatten.
Jack merkte, dass er viel zu schnell atmete; er musste gegen das Entsetzen ankämpfen, das in ihm aufstieg. Er hatte etlichen Autopsien beigewohnt, bei denen die Leiche in einem wesentlich schlechteren Zustand gewesen war. So hatte er Flieger gesehen, die so stark verbrannt waren, dass nur mehr ein verkohltes Gerippe übrig geblieben war, und Schädel, die durch den Druck des kochenden Gehirns explodiert waren. Er hatte die Leiche eines Mannes gesehen, dem der Heckrotor eines Hubschraubers das Gesicht abgeschnitten hatte. Er hatte das
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