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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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alle inneren Organe. Jill Hewitt, die Marinepilotin und Triathletin, die Scotch und Poker mit hohen Einsätzen und Jim-Carrey-Filme gemocht hatte, war nur noch eine leere Hülle.
    Roman richtete sich auf. Er wirkte irgendwie erleichtert. Die Autopsie hatte bisher nichts Ungewöhnliches zu Tage gefördert. Falls es irgendwelche deutlichen Anzeichen für eine Marburg-Infektion gab, waren sie Jack entgangen.
    Roman ging um den Tisch herum zum Kopfende.
    Dies war der Teil, den Jack fürchtete. Er musste sich zwingen hinzusehen, als Roman Jills Kopfhaut am Haaransatz entlang von Ohr zu Ohr aufschnitt. Er zog die Haut nach vorn ab und klappte den Hautlappen um, sodass Jills kastanienbraunes Haar über ihr Kinn fiel. Mit einer Knochenzange brachen sie den Schädel auf. Sägen waren wegen des umherfliegenden Knochenstaubs bei einer Autopsie der Sicherheitsstufe 4 nicht zugelassen. Sie hoben die Schädeldecke ab.
    Ein faustgroßer Klumpen geronnenen Bluts fiel heraus und landete auf dem Stahltisch.
    »Großes subdurales Hämatom«, sagte einer von Romans Mitarbeitern. »Vom Trauma?«
    »Das glaube ich nicht«, erwiderte Roman. »Sie haben die Aorta gesehen – der Tod muss unmittelbar nach dem Aufprall eingetreten sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Herz lange genug gepumpt hat, um eine so ausgedehnte Blutung im Schädelinnern zu verursachen.« Vorsichtig fasste er mit seinen behandschuhten Fingern in die Schädelhöhle, um die Oberfläche des Gehirns abzutasten.
    Eine gallertartige Masse glitt heraus und klatschte auf den Tisch.
    Roman zuckte erschrocken zurück.
    »Was zum Teufel ist denn
das?
«, rief sein Assistent.
    Roman gab keine Antwort. Er stand nur da und starrte den mit einer blaugrünen Membran überzogenen Gewebeklumpen an. Durch den glitzernden Schleier konnte man eine Art formlosen Fleischklumpen erkennen. Er wollte eben die Membran aufschlitzen, als er plötzlich innehielt und einen Seitenblick auf Jack warf. »Es ist irgendein Tumor«, sagte er. »Oder eine Zyste. Das würde die Kopfschmerzen erklären, von denen sie sprach.«
    »Nein, das würde es nicht«, mischte Jack sich ein. »Ihre Kopfschmerzen haben plötzlich eingesetzt – von einer Stunde auf die andere. Ein Tumor wächst über Monate heran.«
    »Woher wollen Sie wissen, dass sie ihre Symptome nicht über Monate für sich behalten hat?«, konterte Roman. »Sie hat vielleicht niemandem davon erzählt, um ihre Teilnahme am Flug nicht zu gefährden.«
    Jack musste eingestehen, dass es so gewesen sein konnte. Die Astronauten waren so wild auf Flugeinsätze, dass man ihnen durchaus zutrauen konnte, Symptome zu verbergen, die sie von einer Mission ausschließen würden.
    Roman sah seinen Kollegen an, der ihm gegenüber am Tisch stand. Der andere Mann nickte, verfrachtete den Klumpen in einen Probenbehälter und ging damit hinaus.
    »Wollen Sie es nicht sezieren?«
    »Es muss zuerst fixiert und gefärbt werden. Wenn ich hineinschneide, beschädige ich vielleicht die Zellarchitektur.«
    »Sie wissen ja nicht, ob es wirklich ein Tumor ist.«
    »Was soll es denn sonst sein?«
    Jack wusste keine Antwort. Er hatte noch nie etwas Ähnliches gesehen.
    Roman fuhr mit der Untersuchung von Jill Hewitts Schädelhöhle fort.
    Es war klar, dass diese Masse, was immer es auch war, starken Druck auf ihr Gehirn ausgeübt und es verformt hatte. Wie lange war sie schon dort gewesen? Monate? Jahre? Und wie war es dann möglich gewesen, dass Jills Gehirn weiterhin normal gearbeitet hatte, dass sie in der Lage gewesen war, eine so komplizierte Maschine wie das Shuttle zu fliegen? All diese Gedanken schossen Jack durch den Kopf, während er zusah, wie Roman das Gehirn herausnahm und es in eine Stahlschüssel legte.
    »Die Hirnmasse war kurz davor, durch das Tentorium zu brechen«, sagte Roman.
    Kein Wunder, dass Jill erblindet war. Kein Wunder, dass sie das Fahrgestell nicht ausgeklappt hatte. Sie war bereits bewusstlos gewesen, während ihr Gehirn beinahe nach unten aus dem Schädel herausgedrückt worden wäre wie Zahnpasta aus einer Tube.
    Jills Leiche, oder was davon übrig war, wurde in einem neuen Leichensack verschlossen und zusammen mit den Gefahrstoffbehältern, die ihre Organe enthielten, aus dem Autopsieraum geschoben.
    Die zweite Leiche wurde hereingefahren. Es war Andy Mercer.
    Mit neuen Gummihandschuhen über den Handschuhen seines Raumanzugs und mit einem sauberen Skalpell machte Roman sich an den Y-Schnitt. Er arbeitete jetzt schneller, als ob er sich

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