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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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allerorten am Werk. Tucker holte drei gelbe Schutzhelme vom Rücksitz des Plymouth und warf einen Baedecker, den anderen Scott zu. Sie gingen näher hin, verdrehten die Hälse und sahen erneut auf.
    »Nicht schlecht, was?« sagte Tucker.
    »Welch ein Anblick«, murmelte Baedecker.
    »Gefrorene Energie«, sagte Scott zu sich.
    »Was war das?« fragte Tucker.
    »Als ich in Indien war«, sagte Scott so leise, daß man seine Stimme kaum über den Hintergrundlärm der Arbeiter und Kompressoren in der Nähe hören konnte, »betrachtete ich aus irgend einem unerfindlichen Grund alles sah tatsächlich alles als Energie. Menschen, Pflanzen, alles. Früher betrachtete ich einen Baum und sah Zweige und Blätter. Heute sehe ich zu Materie geronnenes Sonnenlicht.« Scott zögerte verlegen. »Wie dem auch sei, genau darum handelt es sich um einen riesigen Springbrunnen gefrorener kinetischer Energie, der nur darauf wartet, zu Bewegung aufzutauen.«
    »Ja«, sagte Tucker. »Da wartet Energie. Jedenfalls wird welche warten, wenn die Tanks morgen gefüllt sind. Etwa sieben Millionen Pond Schub, wenn diese beiden festgeschnallten Wunderkerzen angezündet werden.« Er sah die beiden an. »Möchten Sie rauf? Ich hatte Ihnen eine Führung versprochen, Dick.«
    »Ich warte hier«, sagte Scott. »Wir sehen uns später, Dad.«
    Baedecker und Tucker fuhren mit dem Fahrstuhl hinauf und betraten den weißen Raum. Ein halbes Dutzend Techniker von Rockwell International in weißen Overalls, weißen Stiefeln und weißen Mützen arbeiteten in dem grell beleuchteten Raum.
    »Hier ist der Zugang etwas leichter als bei der Saturn V«, sagte Baedecker.
    »Die hatte diesen kleinen Tragearm, richtig?« sagte Tucker.
    »Einhundertundfünf Meter in die Höhe«, sagte Baedecker. »Ich stolperte im vollen Druckanzug über diesen kleinen tragbaren Ventilator, der etwa eine Tonne wog, und hielt den Atem an, bis ich im weißen Zimmer angelangt war. Ich war sicher, ich sei der einzige Apollo-Held, der allmählich Höhenangst entwickelte.«
    »Hier sind wir ein wenig näher am Boden«, sagte Tucker.
    »Abend, Wendell.« Tucker begrüßte einen Techniker mit Kopfhörern, die mit einem Kabel in der Hülle des Shuttle verbunden waren.
    »Abend, Oberst. Möchten Sie rein?«
    »Ein paar Minuten«, sagte Tucker. »Ich will diesem alten Apollo-Fossil zeigen, wie ein richtiges Raumschiff aussieht.«
    »Einverstanden, aber warten Sie bitte noch einen Augenblick«, sagte der Techniker. »Bolton befindet sich auf dem Flugdeck und führt den Kommunikationstest durch. Er müßte jeden Moment wieder runterkommen.«
    Baedecker strich mit einer Hand über die Hülle des Shuttle. Die weißen Fliesen fühlten sich kalt an. Aus der Nähe konnte man Spuren von Abnutzung an dem Raumschiff erkennen schwache Verfärbungen zwischen den Platten, abblätternde schwarze Farbe, glänzende Schabstellen häufiger Benutzung an der offenen Einstiegsluke. Der gebrauchte Lastwagen war gewaschen und gewachst worden, blieb aber dennoch ein Gebrauchtwagen.
    Ein Techniker kam aus der runden Schleuse, und Wendell sagte: »Okay, es gehört Ihnen.«
    Baedecker folgte Tucker ins Innere und fragte sich, was aus Gunter Wendt geworden sein mochte. Die alten Besatzungen von Mercury und Gemini hatten Wendt, den ersten ›Startrampenführer‹ des weißen Raums, in so hohem Ansehen gehalten, daß sie North American Rockwell überredet hatten, ihn von McDonnell abzuwerben, als das Apollo-Programm begonnen worden war.
    »Geben Sie auf Ihren Kopf acht, Dick«, sagte Tucker. Sie gingen zum Mitteldeck und nahmen auf dem Flugdeck in den vorderen Sitzen Platz. Für jemanden, der mit Apollo ausgebildet worden war, schien das Innere des Shuttle riesig zu sein. Hinter den Sitzen von Pilot und Copilot befanden sich zwei zusätzliche Couchen, und eine Leiter hatte zu einem einzigen Sitz auf dem Unterdeck geführt.
    »Wer bekommt den einsamen Platz da unten?« fragte Baedecker.
    »Holmquist, und das stinkt ihm nicht schlecht«, sagte Tucker, während er auf der horizontalen Kommandopilotencouch Platz nahm. »Er hat bis hin zu Bestechung der beiden anderen alles versucht, um einen Fensterplatz zu bekommen.«
    Baedecker tastete sich behutsam zum rechten Sitz. Bei seinem mittleren Sitz im Kommandomodul der Apollo wäre er durch linkische Bewegungen einfach steckengeblieben. Hier würde er, wenn er ausrutschte, eineinhalb bis zwei Meter zu den Fenstern und der Instrumentenkonsole unter ihm im rückwärtigen Teil des Flugdecks

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