Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
Scott schließlich. »Ich weiß, es klingt unheimlich, Dad, aber schon als ich Maggie zum ersten Mal auf dem Campus begegnet bin, hat sie mich an dich erinnert.«
    »An mich?« Baedecker war ratlos. »Wie das?«
    »Vielleicht ist erinnern nicht das richtige Wort«, sagte Scott. »Aber trotzdem mußte ich wegen etwas an ihr ständig an dich denken. Vielleicht lag es daran, wie aufmerksam sie den Leuten zuhörte. Oder ihre Angewohnheit, sich Kleinigkeiten zu merken, die die Leute sagen, und sie später daran zu erinnern. Oder daran, daß sie sich nie mit Erklärungen zufriedengeben wollte, die uns anderen genügten. Wie auch immer, als ich in Indien die Möglichkeit dazu hatte, habe ich versucht, es so einzufädeln, daß ihr ein paar Tage Zeit haben würdet, euch kennenzulernen.«
    Baedecker sah seinen Sohn an. »Willst du damit sagen, darum hast du sie mich am Flugzeug in Neu-Dehli abholen lassen? Darum hast du mich eine Woche warten lassen, bevor ich dich in Poona sehen durfte?«
    Scott aß sein Ei zu Ende, tupfte sich den Mund mit einer kleinen Serviette ab und zuckte fast unmerklich die Schultern.
    »Hol mich der Teufel«, sagte Baedecker und sah seinen Sohn finster an.
    Scott grinste, und zwar so lange, bis Baedecker feststellte, daß er zurückgrinste.
     
    Als der Start abgesagt wurde, blieben nur noch drei Minuten bis zur Zündung. Baedecker und Scott saßen im VIP-Bunker in der Nähe der Konstruktionshalle und sahen über den Beckenkanal, wie die hohen Zirruswolken im Westen zunehmend von Gewitterwolken verdrängt wurden. Der Start war für 9.45 Uhr vorgesehen. Um 9.30
    Uhr befanden sich die Wolken direkt über der Startrampe, die Windgeschwindigkeit war auf fünfundzwanzig Knoten gestiegen, was dicht am zulässigen Maximum lag. Um 9.49 Uhr konnte man im Norden Blitze erkennen, und es fing an zu regnen. Baedecker erinnerte sich, wie er im selben Bunker gesessen hatte, als ein Blitz beim Start in Apollo 12 einschlug, sämtliche Instrumente im Kommandomodul lahmlegte, und Pete Conrad einige unschöne Dinge über Livemikro sagte. Um 9.51 Uhr wurde über Lautsprecher durchgegeben, der Start sei verschoben worden. Wegen eines sehr kleinen Startfenster nicht einmal eine Stunde -, wurde der Countdown für den nächsten Tag zwischen vierzehn und fünfzehn Uhr festgesetzt. Um 10.03 Uhr verkündeten die Lautsprecher, daß die Astronauten das Shuttle verlassen hätten, aber die Stimme sprach zu leeren Tribünen, da die Zuschauer bereits durch den zunehmenden Regen zu Autos oder Unterständen liefen.
    Baedecker ließ Scott den gemieteten Beretta fahren, während die Schlange der Automobile im Schrittempo nach Westen fuhr. »Scott«, sagte er, »was hast du für Pläne, falls der Start morgen über die Bühne geht?«
    »Was ich bisher auch vorhatte«, sagte Scott. »Ich fahre ein paar Tage nach Daytona und besuche Terry und Samantha. Nächstes Wochenende fliege ich dann nach Boston und besuche Mom, wenn sie aus Europa zurück sind. Warum?«
    »Ich wollte es nur wissen«, sagte Baedecker. Er lauschte den Scheibenwischern in ihrem vergeblichen Versuch, mit dem Wolkenbruch fertig zu werden. Bremslichter leuchteten in der langen Schlange vor ihnen auf. »Eigentlich«, sagte Baedecker, »habe ich mir überlegt, ob ich heute nach Boston fliegen sollte. Wenn ich bis nach dem Start warte, habe ich nicht genügend Zeit mehr vor meinem Termin in Austin am Montag.«
    »Boston?« sagte Scott. »Oh, ja ... das ist vielleicht keine schlechte Idee.«
    »Wirst du dann heute abend noch nach Daytona fahren?«
    Scott überlegte einen Moment und trommelte dabei mit den Fingern auf dem Lenkrad. »Nein, ich glaube nicht«, sagte er. »Ich habe Terry schon gesagt, daß ich morgen abend oder am Sonntag eintreffen würde. Ich glaube, ich bleibe hier und sehe mir den Start an.«
    »Macht es dir nichts aus?« fragte Baedecker und sah seinen Sohn an. In den Monaten, die sie im vergangenen Frühling und Sommer zusammen verbracht hatten, hatte Baedecker gelernt, Scotts wahre Reaktionen viel besser einzuschätzen.
    »Nee, macht mir nicht das geringste aus«, sagte Scott mit aufrichtigem Grinsen. »Fahren wir zum Motel und holen deine Sachen.«
    Als sie auf den Highway 1 abbogen, hatte der Regen schon deutlich nachgelassen.
    »Ich hoffe, Thanksgiving war keine allzugroße Enttäuschung für dich«, sagte Baedecker. Sie hatten allein im Hotel gegessen, bevor sie zum Kaffee mit der Besatzung gegangen waren.
    »Soll das ein Witz sein?« sagte Scott. »Es

Weitere Kostenlose Bücher