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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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der Orte der Macht, von dem wir vor achtzehn Monaten in Indien gesprochen haben?
    Du weißt, wie sehr ich Magie liebe, Richard, und wie besessen ich von den Geheimnissen und verschwiegenen Winkeln der Seele bin. Für mich ist unsere Suche nach Orten der Macht real und wichtig. Aber das weißt Du ja.
    Nun gut, zu meinem Glauben. Ich habe eine zwölfseitige Epistel darüber geschrieben, seit Du die Frage in Deinem Brief auf geworfen hast, aber dann warf ich sie weg, weil ich glaube, daß man meinen ganzen Glauben auf Folgendes reduzieren kann:
     
    Ich glaube an Vielfalt und Geheimnis
    des Universums; und ich glaube nicht
    an das Übernatürliche.
     
    Das ist es. Oh, und ich glaube auch, daß wir beide ein paar Entscheidungen zu treffen haben, Richard. Ich will uns beide nicht mit Klischees beleidigen, oder mit Beschreibungen, welche Mühe es mir bereitet, mir sieben Monate nach Verstreichen der von mir selbst gesetzten Frist Bruce vom Leib zu halten, aber es ist tatsächlich so, daß Du und ich uns entscheiden müssen, ob wir eine gemeinsame Zukunft haben.
    Bis vor kurzem war ich der Meinung, daß es so wäre. Die wenigen Stunden und Tage, die wir in den vergangenen eineinhalb Jahren miteinander verbracht haben, haben mich davon überzeugt, daß das Universum vielfältiger und, seltsamerweise, geheimnisvoller ist, wenn wir es gemeinsam erforschen.
    Aber das Leben lockt uns beide im Augenblick, so oder so. Wie auch immer wir uns entscheiden, Du sollst wissen, daß unsere gemeinsame Zeit alles weiter und tiefer für mich gemacht hat, vorwärts und rückwärts in der Zeit.
    Ich glaube, ich gehe jetzt spazieren und beobachte Ruderboote auf dem Charles.
     
    Maggie.
     
    Scott kam zu ihm an den Tisch. »Du bist heute früh aufgestanden, Dad. Wann fahren wir denn rüber zum Start?«
    »Gegen halb neun«, sagte Baedecker und legte Maggies Brief zusammen.
    Die Kellnerin kam, und Scott bestellte Kaffee, Orangensaft, Rührei, Vollkorntoast und eine Extraportion Grütze. Als sie gegangen war, sah er Baedeckers Kaffeetasse an und sagte: »Ist das alles, was du zum Frühstück ißt?«
    »Ich habe heute morgen keinen großen Hunger«, sagte Baedecker.
    »Dabei fällt mir ein, gestern hast du auch nichts gegessen«, sagte Scott. »Und soweit ich mich erinnere, hast du Mittwochabend auch kein Abendessen zu dir genommen. Und den Kuchen gestern abend hast du auch nicht angerührt. Was ist los, Dad? Geht es dir nicht gut?«
    »Mir geht es blendend«, sagte Baedecker. »Ehrlich. Ich hatte nur in letzter Zeit keinen nennenswerten Appetit. Ich werde ein großes Mittagessen zu mir nehmen.«
    Scott runzelte die Stirn. »Sei bloß vorsichtig, Dad. Wenn ich in Indien längere Fastenperioden eingelegt habe, kam irgendwann der Zeitpunkt, da wollte ich gar nichts mehr essen.«
    »Mir geht es blendend«, wiederholte Baedecker. »Mir geht es so gut wie seit Jahren nicht mehr.«
    »Du siehst auch besser aus«, sagte Scott nachdrücklich.
    »Du mußt zwanzig Pfund abgenommen haben, seit wir Ende Januar angefangen haben zu laufen. Tucker Wilson hat mich gestern abend gefragt, was für Vitamine du nimmst. Mann, Dad, du siehst toll aus.«
    »Danke«, sagte Baedecker. Er trank einen Schluck Kaffee. »Ich habe Maggie Browns Brief noch einmal gelesen, und dabei fiel mir ein, daß ich dir Grüße bestellen soll.« Scott nickte und sah auf das Meer hinaus. Im Osten war der Himmel makellos blau, aber vor der aufgehenden Sonne waberte bereits Dunst. »Wir haben uns noch nicht über Maggie unterhalten«, sagte Scott.
    »Nein, haben wir nicht.«
    »Unterhalten wir uns jetzt«, sagte Scott.
    »Einverstanden.«
    In diesem Augenblick wurde Scotts Frühstück gebracht, und die Kellnerin füllte ihre Kaffeetassen nach. Scott biß von seinem Toast ab. »Zuerst einmal«, sagte er,
    »hast du, glaube ich, falsche Vorstellungen über Maggie und mich. Wir waren ein paar Monate befreundet, bevor ich nach Indien gegangen bin, aber so nahe standen wir uns nie. Ich war überrascht, als sie im Sommer zu einem Besuch auftauchte. Ich will damit sagen, obwohl mir der Gedanke ein paarmal durch den Kopf gegangen ist, haben Maggie und ich es nie versucht.«
    »Hör zu, Scott ...«, begann Baedecker.
    »Nein, du hörst mir jetzt zu«, sagte Scott, aber kaum hatte er es gesagt, nahm er sich Zeit, die Rühreier mit der völligen Konzentration zu essen, an die Baedecker sich noch vom frühesten Füttern seines Sohns in dessen Hochstuhl erinnern konnte. »Ich muß das erklären«, sagte

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