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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Baedecker.
    »Das indische Essen hat mir während meines Aufenthalts nicht besonders zugesagt, aber ihr Kaffee ist ausgezeichnet.«
    »Jede Menge Karma«, sagte Scott. Er sah seine Tasse und die beiden Brötchen zweifelnd an. »Aber man weiß nie, wer diese Sachen zubereitet hat. Wer sie angefaßt hat. Könnte jemand mit einem echt lausigen Karma gewesen sein.«
    Baedecker trank von seinem Kaffee. »Wo lebst du hier, Scott?«
    »Meistens im Ashram oder auf der Farm des Meisters. In den Wochen der Einsamkeit nehme ich mir ein Zimmer in einem kleinen indischen Hotel ein paar Blocks von hier entfernt. Es hat offene Fenster und eine Hängematte, aber es ist billig. Und meine materielle Umgebung bedeutet mir gar nichts mehr.«
    Baedecker sah ihn an. »Nicht? Wenn es so billig ist, wohin ist dann das ganze Geld verschwunden? Deine Mutter und ich haben dir fast viertausend Dollar geschickt, seit du im Januar beschlossen hast, hierher zu gehen.«
    Scott sah zum Pool, wo die indische Familie Lärm machte. »Oh, du weißt ja. Unkosten.«
    »Nein«, sagte Baedecker leise, »ich weiß nicht. Was für Unkosten?«
    Scott runzelte die Stirn. Sein Haar war sehr lang und in der Mitte gescheitelt. Mit seinem Bart erinnerte sein Sohn Baedecker an einen exzentrischen Mann der Bodenkontrolle, den er kennengelernt hatte, als er Mitte der sechziger Jahre Übungsflüge für die NASA geflogen hatte.
    »Unkosten«, wiederholte Scott. »Es war nicht billig, über die Runden zu kommen. Das Meiste habe ich dem Meister gespendet.«
    Baedecker spürte, wie die Unterhaltung seiner Kontrolle entglitt. Er verspürte den Zorn, den er unbedingt vermeiden wollte, das hatte er sich geschworen. »Was meinst du damit, du hast es dem Meister gegeben? Wofür? Damit er noch ein Auditorium bauen kann? Wieder nach Hollywood ziehen? Versuchen, noch eine Stadt in Oregon zu kaufen?«
    Scott seufzte und biß, ohne nachzudenken, in das Brötchen. Er strich Krümel aus seinem Bart. »Vergiß es, Dad.«
    »Was vergessen? Daß du von der Universität abgegangen bist und Geld an diesen falschen Guru verschwendest?«
    »Ich sagte, vergiß es.«
    »Von wegen. Wir können wenigstens darüber reden.«
    »Wor rer reden?« Scotts Stimme wurde lauter. Köpfe drehten sich in ihre Richtung. Ein älterer Mann in orangefarbenem Gewand und Sandalen, der das Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, legte seine Ausgabe der Times weg, drückte die Zigarette aus und interessierte sich sichtlich für den Wortwechsel. »Was weißt du denn schon davon? Du bist so in deine materialistische amerikanische Scheiße verwickelt, daß du die Wahrheit nicht erkennen würdest, wenn sie sich eines Tages auf deinen Schreibtisch setzen würde.«
    »Materialistische Scheiße«, wiederholte Baedecker. Der Zorn war weitgehend wieder verraucht. »Und du glaubst, ein kleines bißchen Tantra-Yoga und ein paar Monate in diesem hinterwäldlerischen Land werden dich zur Wahrheit führen?«
    »Sprich nicht von Dingen, von denen du nichts verstehst«, schnappte Scott.
    »Ich verstehe etwas vom Ingenieurswesen«, sagte Baedecker. »Ich weiß, daß mich ein Land nicht beeindruckt, das nicht einmal ein einfaches Telefonnetz zustande bringt oder Kanalisation legen kann. Und ich erkenne sinnlosen Hunger, wenn ich ihn sehe.«
    »Quatsch«, sagte Scott möglicherweise höhnischer, als er beabsichtigt hatte. »Nur weil wir kein Rindfleisch aus Kansas essen, denkst du, wir hungern ...«
    »Ich spreche nicht von dir. Oder diesen anderen hier. Ihr könnt jederzeit nach Hause fliegen. Dies ist ein Spiel für reiche Kinder. Ich spreche von ...«
    »Reiche Kinder!« Scotts schrilles Lachen klang aufrichtig. »Dies ist das erste Mal, daß mich jemand ein reiches Kind nennt! Ich kann mich noch daran erinnern, daß du mir nicht einmal fünfzig Cent Taschengeld geben wolltest, weil du dachtest, es wäre schlecht für meine Selbstdisziplin.«
    »Komm schon, Scott.«
    »Warum fliegst du nicht einfach wieder nach Hause, Dad. Flieg nach Hause, sieh fern, mach deine Übungen am Trainer im Keller, schau dir die Fotos an den Wänden an und laß mich hier mein ... mein Spiel durchziehen.«
    Baedecker machte einen Moment die Augen zu. Er wünschte sich, der Tag würde neu beginnen, damit er noch einmal von vorn anfangen könnte. »Scott. Wir möchten, daß du nach Hause kommst.«
    »Nach Hause?« Baedecker sah, wie sein Sohn die Brauen hoch zog. »Wo ist denn mein Zuhause, Pop? In Boston bei Mom und dem flotten Charlie? Deine

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