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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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verbliebenen Klöster zu sehen ...« Baedecker legte sich auf das Bett zurück und preßte die Handballen gegen die Stirn. Tom hatte seine Offenbarung während des dreitägigen Rückflugs nicht erwähnt, auch nicht bei Gesprächen während der wochenlangen Quarantäne. Tatsächlich hatte Tom noch fünf Jahre nach dem Unternehmen mit gar niemandem darüber gesprochen oder danach gehandelt. Kurz nach der Pleite seiner Großhandels-Vertretung in Sacramento hatte Gavin in der Talkshow eines lokalen Rundfunksenders von seiner Offenbarung gesprochen. Wenig später waren er und Deedee nach Colorado gezogen, um eine religiöse Organisation zu gründen. Baedecker überraschte es nicht, daß Tom nach der Mission weder mit ihm noch mit Dave darüber gesprochen hatte; sie drei waren eine gute Mannschaft gewesen, standen einander aber nicht so nahe, wie man es nach zwei Jahren gemeinsamen Trainings eigentlich hätte erwarten sollen.
    Baedecker setzte sich auf und sah zum Fernseher. »... in unserer letzten Sendung hatten wir einen bedeutenden Wissenschaftler zu Gast«, sagte der Talkmaster, »einen Christen und missionarischen Befürworter für Schöpfungsgeschichte als gleichberechtigtes Unterrichtsfach an den Schulen ... wo man den Kindern, wie Sie sicher wissen, Tom, derzeit nur eine einzige, falsche und gottlose Theorie beibringt, wonach der Mensch vom Affen und anderen niederen Lebensformen abstammt ... und dieser bedeutende und angesehene Wissenschaftler wies nach, daß bei der Anzahl von Sternschnuppen, die jedes Jahr auf die Erde treffen ... Sie müssen eine Menge gesehen haben, als Sie im All waren, was, Tom?«
    »Mikrometeoriten bereiteten den Ingenieuren einiges Kopfzerbrechen«, sagte Gavin.
    »Nun, mit diesen Millionen kleinen ... kleinen Felsbrocken, das sind sie doch, oder nicht? Mit diesen Millionen Felsbrocken, die auf die Erde fallen ... wenn die Erde tatsächlich so alt wäre, wie ihre Theorie behauptet ... wie alt? Drei Milliarden Jahre?«
    Viereinhalb, dachte Baedecker. Idiot.
    »Etwas über vier Milliarden«, sagte Gavin.
    »Ja«, sagte der Gastgeber lächelnd, »nun, dieser bedeutende christliche Wissenschaftler wies nach, bewies sogar mathematisch, wenn die Erde tatsächlich so alt wäre, müßte sie unter mehreren Meilen Meteoritenstaub begraben sein!«
    Das Publikum applaudierte hemmungslos. Die Frau des Gastgebers rang die Hände, lobte Jesus Christus über den Lärm hinweg und wippte hin und her. Gavin lächelte und hatte immerhin den Anstand, peinlich berührt dreinzuschauen. Baedecker mußte an den »orangeroten Felsbrocken‹ denken, den er und Dave vom Mariusgebirge mitgebracht hatten. Altersbestimmungen mit Argon-39 und Argon-40 hatten ergeben, daß der Brocken Troktolitgestein 3,950 Milliarden Jahre alt sein mußte.
    »Das Problem mit der Evolutionstheorie«, sagte Gavin,
    »besteht darin, daß sie konträr zur wissenschaftlichen Methode läuft. Es ist unmöglich, bedenkt man die kurze menschliche Lebensspanne, diese sogenannten evolutionären Mechanismen am Wirken zu sehen, die sie postulieren. Die geologischen Daten sind zu fragwürdig. Ständig zeigen sich Lücken und Widersprüche in diesen Theorien, wogegen alle biblischen Geschichten immer und immer wieder bestätigt worden sind.«
    »Ja, ja«, sagte der Gastgeber und nickte nachdrücklich mit dem Kopf.
    »Gelobt sei Jesus Christus«, sagte seine Frau.
    »Wir können uns nicht darauf verlassen, daß die Wissenschaft unsere Fragen beantwortet«, sagte Gavin. »Der menschliche Intellekt ist zu fehlbar.«
    »Wie wahr, wie wahr«, sagte der Gastgeber.
    »Gelobt sei Jesus Christus«, sagte seine Frau, »und Gottes Wahrheit werde verkündet.«
    »Amen«, sagte Baedecker und schaltete den Fernseher aus.
     
    Kurz nach dem Essen, als die letzten Minuten der Dämmerung anbrachen, kamen die anderen auf die Lichtung. Die ersten beiden waren Jungs junge Männer im Collegealter, stellte Baedecker fest -, die offensichtlich schwere Rucksäcke mit Aluminiumstativen darauf trugen. Sie beachteten Baedecker und die anderen gar nicht, sondern sputeten sich, die Rucksäcke abzusetzen und die Stative aufzustellen. Aus den Rucksäcken holten sie Schaumgummipolster und zwei Sechzehn-MillimeterFilmkameras.
    »Herrgott, ich hoffe, wir haben noch genug Licht«, sagte der Übergewichtige in Shorts.
    »Müßten wir haben«, sagte der andere, ein großer Rothaariger mit Flaumbart. »Diese Tri-X ist schnell genug, wenn er bald herkommt.« Sie konzentrierten sich darauf,

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