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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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gewöhnt war als die, an die sich Baedecker aus der Zeit der Mission erinnerte. Damals war eine stehende Redensart gewesen, daß Tom gern in Worten mit einer Silbe oder weniger antwortete. Damals hatte Dave Muldorff den Spitznamen ›Rockford‹ getragen, weil er Ähnlichkeit mit einem Fernsehdetektiv hatte, den James Garner spielte, und eine Zeitlang hatten Bodenpersonal und die anderen Piloten Gavin ›Coop‹ genannt, wegen seinen lakonischen ›Jas‹ und ›Wolls‹. Tom hatte das gar nicht gefallen,
    und der Spitzname hatte sich nicht gehalten.
    Nun berichtete Gavin von den Jahren nach ihrer Mission, von seinem Ausscheiden aus der NASA kurz nach Baedecker, von seinem erfolglosen Pharmaziegroßhandel in Kalifornien. »Anfangs habe ich haufenweise Geld verdient, wir hatten ein großes Haus in Sacramento und ein Strandhaus nördlich von San Francisco, Deedee konnte sich kaufen, was sie wollte, aber ich war einfach nicht glücklich ... verstehst du, was ich meine, Dick? Ich war einfach nicht glücklich.«
    Baedecker nickte.
    »Und zwischen Deedee und mir stand es einfach nicht gut«, fuhr Gavin fort. »Oh, die Ehe war intakt, zumindest sah es für unsere Freunde so aus, aber tief im Inneren ... der hingebungsvolle Teil, der war einfach nicht mehr da. Wir wußten es beide. Im Herbst 1976 lud ein Freund Deedee und mich dann zu einem Bibelwochenende ein, das von seiner Kirche finanziert wurde. Das war der Anfang. Obwohl ich als Baptist erzogen worden bin, hörte ich zum ersten Mal wirklich zum ersten Mal Gottes Wort und stellte fest, daß es für mich Gültigkeit hatte. Danach erhielten Deedee und ich eine christliche Eheberatung, und alles wurde besser. Zu der Zeit dachte ich gründlich über die Nachricht nach, die ich gehört... eigentlich gefühlt hatte, als ich den Mond umkreiste. Trotzdem wachte ich erst im Frühling 1977, am fünften April, morgens auf, und mir wurde klar, wenn ich weiterleben wollte, mußte ich Jesus Christus meinen ganzen Glauben schenken. Meinen ganzen Glauben. Und das tat ich ... an diesem Morgen ... ich sank auf beide Knie und akzeptierte Christus als meinen persönlichen Erlöser und Herrn. Und ich habe es seither nicht bereut, Dick. Nicht einen einzigen Tag. Nicht eine Minute.«
    Baedecker nickte. »Und das hat zu dem hier geführt?« fragte er und schloß das Büro und alles ringsum in sein Nicken ein.
    »Sicher!« Gavin lachte, aber seine Augen blickten immer noch stechend und ohne zu blinzeln. »Selbstverständlich nicht auf einmal. Komm mit, ich zeig' dir alles, stell' dich einigen der Kinder vor. Wir haben sechs Vollzeitkräfte und etwa ein Dutzend Freiwillige.«
    »Vollzeitkräfte wofür?« fragte Baedecker.
    Gavin stand auf. »Hauptsächlich, um Anrufe entgegen zu nehmen«, sagte er. »Apogee ist ein nicht gewinnorientiertes Unternehmen. Die Kinder vereinbaren meine öffentlichen Auftritte, koordinieren die Aktivitäten mit lokalen Gruppen normalerweise Priester und ›Campus Crusade‹ -, bringen unsere monatliche Zeitschrift heraus, geben auch einige christliche Beratungen, leiten ein Drogenrehabilitierungsprogramm dafür haben wir speziell ausgebildete Mitarbeiter und erfüllen ganz allgemein den Willen des Herrn, wenn ER ihn uns offenbart.«
    »Hört sich nach einem vollen Terminplan an«, sagte Baedecker. »Irgendwie wie in alten Zeiten, als wir uns für das Unternehmen vorbereitet haben.« Baedecker wußte nicht, warum er das gesagt hatte; es klang selbst in seinen Ohren albern.
    »Fast genau wie bei dem Unternehmen«, sagte Gavin und legte einen Arm um Baedecker. »Derselbe dichte Terminplan. Dasselbe Gefühl von Hingabe. Dieselbe Notwendigkeit von Disziplin. Nur ist dieses Unternehmen weitaus wichtiger als unser Flug zum Mond.«
    Baedecker nickte und wollte ihm aus dem Büro folgen, aber Gavin blieb unvermittelt stehen und drehte sich zu ihm um. »Dick, du bist nicht christlich, oder?«
    Baedecker spürte, wie seine Überraschung zu Wut wurde. Er war das schon früher gefragt worden, und die Frage erboste ihn jedesmal erneut durch ihre seltsame Kombination von Aggressivität und selbstgefälligem Provinzialismus. Und doch entzog sich ihm die Antwort, wie immer. Baedeckers Vater war ein abtrünniges Mitglied der Reformierten Kirche gewesen, seine Mutter, wenn überhaupt, Atheistin. Joan war katholisch, daher hatte Baedecker, während Scott aufwuchs, jahrelang jeden Sonntag die Messe besucht. Im vergangenen Jahrzehnt war er ... was gewesen? »Nein«, sagte Baedecker, verbarg

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