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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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hatte an seinem Leben in St. Louis nichts so sehr gefallen wie die Abreise.
    Er kündigte seinen Job bei der Flugzeugfirma, wo er die letzten acht Jahre gearbeitet hatte, und das Gefühl, daß er dort im Grunde genommen völlig überflüssig gewesen war, wurde versehentlich dadurch bestätigt, daß Cole Prescott, sein Boß, ihn zwar mit einem tiefen Gefühl des Bedauerns gehen ließ, aber ohne die Notwendigkeit einer Interimsperiode, um einen Neuen einzulernen. Baedecker verkaufte sein Haus in der Stadt an die Gesellschaft zurück, die es gebaut hatte, verkaufte den größten Teil seiner Möbel, lagerte seine Bücher, Papiere und den Schreibtisch ein, den Joan ihm zum vierzigsten Geburtstag geschenkt hatte, verabschiedete sich bei Drinks von seinen wenigen Kollegen und Freunden die überwiegend für die Firma arbeiteten und fuhr eines Nachmittags nach einem gemütlichen Essen im Three FlagsRestaurant jenseits des Missouri in St. Charles nach Westen.
    Richard Baedecker hatte nicht einmal drei Tage gebraucht, sein Leben in St. Louis zu liquidieren.
    Er erreichte das Gebiet des Staates Kansas, als in Kansas City gerade Hauptverkehrszeit herrschte. Das wahnsinnige Verkehrsaufkommen störte ihn nicht; er lehnte sich in den Lederpolstern zurück und hörte im Autoradio klassische Musik. Ursprünglich hatte er vorgehabt, den Chrysler Le Baron zu verkaufen und sich etwas kleineres, schnelleres zu kaufen eine Corvette oder einen Mazda RX-7 -, die Art Wagen, wie er ihn vor achtzehn oder zwanzig Jahren gefahren hätte, als er auf Einsätze vorbereitet wurde oder Flugzeugprototypen flog, aber im letzten Augenblick wurde ihm klar, wie klischeebefrachtet das gewesen wäre der Mann in mittleren Jahren, der in einem flotten Sportflitzer seiner verlorenen Jugend nachjagte -, und daher behielt er den Le Baron. In dessen klimatisiertem Komfort entspannte er sich nun und lauschte Händels Wassermusik, während er Kansas City mit seinen Getreidesilos hinter sich ließ und nach Westen auf die untergehende Sonne und die endlosen Prärien zufuhr.
    In dieser Nacht blieb er in Russell, Kansas, wo er in einen kleinen Ort fuhr und sich ein billigeres Motel abseits der Interstate suchte. Auf dem Schild außen stand KABELFERNSEHEN KAFFEE UMSONST. Die alten Touristenbungalows waren nicht klimatisiert, aber sauber und ruhig, unter hohen Bäumen, die Pfützen dunklerer Schatten in der Dämmerung erzeugten. Baedecker duschte, zog sich um und ging spazieren. Das Abendessen holte er sich an den Imbißbuden bei den Tribünen im Stadtpark, zwei Hot Dogs und Kaffee an einem Stand unterhalb der Baseballtribüne. In der Halbzeit des Spiels ging der Mond auf, orange und abnehmend. Aus alter Gewohnheit sah Baedecker auf und versuchte das Mariusgebirge im westlichen Oceanus Procellarum zu finden, aber das war in Dunkelheit gehüllt. Baedecker verspürte eine traurige, Ende-der-Saison-Aura an diesem Abend. Labor Day der Tag der Arbeit lag vier Tage zurück, und obwohl der Sommer einen letzten Versuch unternahm, eine Hitzewelle zustande zu bringen, und trotz des Softballturniers hatte die Schule für die Kinder wieder angefangen, das städtische Freibad war geschlossen und die Maisfelder außerhalb der Stadt wurden gelber und trockener, je näher die Ernte rückte.
    Baedecker ging nach der sechsten Runde des zweiten Spiels und begab sich wieder in sein Motelzimmer. Das ›KABELFERNSEHEN‹ bestand aus einem kleinen Schwarzweißfernseher, mit dem man zwei lokale Sender von Kansas City, WTBS aus Atlanta, WGN aus Chicago und drei fundamentalistische Sender empfangen konnte.
    Im zweiten dieser religiösen Sender sah er Tom Gavin, seinen alten Mannschaftskameraden von der Apollo.
     
    Eineinhalb Meilen oberhalb der Wiese, wo sie das Auto abgestellt hatten, ging der zweispurige Feldweg über in einen Trampelpfad durch dichten Wald. Baedecker konnte sich jetzt leichter bewegen, er hatte seinen eigenen Rhythmus gefunden und genoß den Abend und die Schatten, die über den Grund des Tals wanderten. Es war deutlich kühler geworden, als die Schatten der Berge über das schmale Tal fielen, durch das sie wanderten.
    Maggie wartete an der Wegbiegung auf ihn, worauf sie eine Zeitlang in kameradschaftlichem Schweigen dahinschritten. Hinter der nächsten Wegbiegung waren Tom und Deedee emsig damit beschäftigt, ein Lager auf einer Lichtung zehn Meter oberhalb des Bachs zu errichten, zu dem der Weg parallel verlief. Baedecker setzte den Rucksack ab, streckte sich und massierte

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