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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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bückte, um ihn zu kraulen.
    »Wie lange?« sagte Dave und tätschelte die Seite des Hundes.
    »Geduld, Geduld«, lachte Miz Callahan. »Gut Ding will Weile haben.« Sie sah zu Baedecker auf. »Ist dies Ihr erster Besuch in unserer Stadt, Mr. Baedecker?«
    »Ja. Ma'am«, sagte Baedecker, der sich in ihrer Gegenwart wie ein Schuljunge fühlte, ein Gefühl, das freilich nicht unbedingt unangenehm war.
    »Nun, es ist ein ruhiges kleines Fleckchen«, sagte Miz Callahan, »aber wir hoffen, daß es Ihnen hier gefällt.«
    »Ich finde es wunderschön«, sagte Baedecker. »Und Ihr Haus gefällt mir auch außerordentlich. Sie haben es wunderbar hergerichtet.«
    »Danke, Mr. Baedecker«, sagte sie, und Baedecker konnte ihr Lächeln im spärlichen Licht sehen. »Mein verstorbener Mann und ich haben den größten Teil der Arbeiten machen lassen, als wir Ende der fünfziger Jahre hier in den Ruhestand gingen. Die Schule stand fast dreißig Jahre leer und befand sich in einem schrecklichen Zustand. An manchen Stellen war das Dach eingestürzt, Tauben nisteten in allen Zimmern des ersten Stocks meine Güte, es war in einem schrecklichen Zustand. David, da auf dem Tisch steht ein Krug Limonade. Würden Sie uns welche einschenken? Danke, mein Bester.«
    Baedecker trank Limonade aus einem kristallenen Weinkelch, während sich draußen die Nacht herniedersenkte. Nur wenige Häuser in der Stadt waren erleuchtet, dazu zwei Bogenlampen, eine nicht weit von Daves Haus entfernt, aber ihr Leuchten wurde von Zweigen abgeschirmt und lenkte nicht von der Pracht des Himmels ab, wo immer mehr Sterne sichtbar wurden.
    »Der Mars geht auf«, sagte Dave.
    »Nein, mein Bester, das ist Beteigeuze«, sagte Miz Callahan. »Sehen Sie, er ist gegenüber von Rigel und über dem Gürtel des Orion.«
     
    »Sie interessieren sich für Astronomie?« fragte Baedekker und lächelte über Daves Verlegenheit. Er hatte seinem Freund schon Monate vor der Mission bei den Astrogationsübungen unter die Arme greifen müssen.
    »Mr. Callahan war Astronom«, sagte die alte Dame.
    »Wir haben uns kennengelernt, als er Professor an der DePaul-Universität in Greencastle, Indiana, war. Ich war dort und unterrichtete Geschichte. Haben Sie DePaul jemals gesehen, Mr. Baedecker?«
    »Nein, Ma'am.«
    »Eine sehr hübsche kleine Schule«, sagte Miz Callahan.
    »Akademisch gesehen zweitklassig und da draußen in den Maisfeldern von Indiana im siebten Kreis der Einsamkeit begraben, aber ein hübscher kleiner Campus. Noch Limonade, Mr. Baedecker?«
    »Nein, danke.«
    »Mr. Callahan war ein Fan der Chicago Cubs«, sagte sie. »Wir sind jeden August mit der Monon Railroad nach Chicago gefahren und haben uns die Spiele auf dem Wrigley Field angesehen. Das waren unsere Ferien. Ich kann mich noch an 1945 erinnern, als sie eine wirklich gute Spielzeit hatten. Mr. Callahan machte Pläne, eine weitere Woche im Blackstone Hotel zu bleiben. Die Reise zu den Spielen der Cubs war das einzige, was Mr. Callahan vermißte, als wir im Herbst 1959 in den vorzeitigen Ruhestand gingen und hierher zogen.«
    »Wieso haben Sie sich für Lonerock entschieden?« fragte Baedecker. »Hatten Sie Familienangehörige in Oregon?«
    »Gütiger Himmel, nein«, sagte Miz Callahan. »Keiner von uns war je im Westen gewesen, bevor wir hergezogen sind. Nein, Mr. Callahan hatte einfach auf seiner Karte ausgerechnet, daß dies der beste Ort für magnetische Kraftlinien war, daher beluden wir den DeSoto und kamen hierher.«
    »Magnetische Kraftlinien?« sagte Baedecker.
    »Interessieren Sie sich dafür, den Himmel zu beobachten, Mr. Baedecker?« fragte sie.
    Bevor Baedecker antworten konnte, sagte Dave: »Richard ist vor sechzehn Jahren mit mir auf dem Mond spazierengegangen.«
    »Oh, David, fangen Sie nicht wieder damit an«, sagte Miz Callahan und schlug ihm spielerisch auf die Hand.
    Dave wandte sich an Baedecker. »Miz Callahan glaubt nicht, daß Amerikaner auf dem Mond gewesen sind.«
    »Wirklich?« sagte Baedecker. »Ich dachte, das hätte mittlerweile jeder akzeptiert.«
    »Oh, jetzt fangen Sie nicht auch noch an, mich auf den Arm zu nehmen«, sagte die alte Dame. Ihre heisere Stimme klang gelinde amüsiert. »David ist schon schlimm genug.«
    »Es wurde im Fernsehen übertragen«, sagte Baedecker und sah sofort ein, wie kümmerlich sich diese Aussage anhörte.
    »Ja«, sagte Miz Callahan, »wie Mr. Nixons sogenannte Checkers-Ansprache. Glauben Sie alles, was Sie sehen und hören, Mr. Baedecker? Ich besitze

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