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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Frisbee zu. Das phosphoreszierende Plastik leuchtete grün-weiß im hellen Mondlicht. Baedecker entfernte sich zehn Schritte und warf ihn zurück.
    »In Luft funktioniert er besser«, sagte Dave.
    Sie warfen die schimmernde Scheibe mehrere Minuten schweigend hin und her. Baedecker spürte, wie ihn eine Gefühlsaufwallung übermannte.
    »Weißt du, was ich denke?« sagte Dave nach einer Weile.
    »Was denkst du?«
    »Ich denke, daß der alte Sam und alle anderen den richtigen Einfall hatten. Man übergeht einfach alle anderen Orte und zieht weiter, weil der Ort, den man sucht, vollkommen ist.« Er fing den Frisbee und hielt ihn mit beiden Händen. »Aber was sie nicht verstanden, ist, daß man ihn dazu macht, indem man davon träumt.«
    Dave ging zum Rand der Schlucht und hielt den Frisbee kurz zu den Sternen hinauf; eine Opfergabe. »Alles geht einmal zu Ende«, sagte er, wich zurück, machte eine Pirouette und warf die Scheibe, so fest er konnte, über den Abgrund. Baedecker trat neben ihn, dann sahen die beiden dem Frisbee nach, der eine unglaublich weite Strecke zurücklegte, im Mondlicht eine anmutige Kurve beschrieb und lautlos in die Dunkelheit über dem Fluß hinabsank.
     
    Baedecker ging von der Blockhütte zum Steg, wo sein Sohn auf dem Geländer saß und über den See sah. Im Radio waren Kommentare der Erleichterung über Nixons Rücktritt und Spekulationen über Gerald Ford gekommen. Mehrere Reporter hatten flammende Bemerkungen über eine Rede von Gerald Ford gemacht, wonach dieser sich in all den Jahren im Kongreß nicht einen einzigen Feind gemacht hatte. Baedecker verstand die Erleichterung des Reporters nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit Nixons offensichtlicher Überzeugung, daß er von Feinden umgeben war, kam die Veränderung gerade recht, aber Baedecker erinnerte sich, wie sein Vater ihm einmal gesagt hatte, daß man einen Mann anhand der Wahl seiner Feinde besser einschätzen könne als anhand der Wahl seiner Freunde, und er fragte sich, ob Fords Bemerkung tatsächlich ein Beweis seiner Integrität war.
    Scott saß am anderen Ende des Stegs auf dem Geländer. Sein weißes T-Shirt leuchtete schwach im Schein des abnehmenden Mondes. Der Steg selbst hing an mehreren Stellen durch, ein Stück des Geländers fehlte. Baedecker erinnerte sich an den Geruch von neuem Holz, als er vor siebzehn Jahren hier gestanden und mit seinem eigenen Vater gesprochen hatte.
    »Hallo«, sagte Baedecker.
    »Hi.« Scotts Stimme klang nicht mehr verdrossen, nur distanziert.
    »Vergessen wir meinen Ausbruch, okay?«
    »Okay.«
    Baedecker lehnte sich an das Geländer, dann sahen die beiden ein paar Minuten auf den See hinaus. Irgendwo brummte ein Außenbordmotor, dessen Lärm unverfälscht und klar über das stille Wasser tönte, aber keine Positionslichter ließen sich sehen. Baedecker konnte Glühwürmchen wie Infanteriefeuer am anderen Ufer sehen.
    »Ich habe deinen Großvater einmal nicht lange nach dem Krieg hier besucht«, sagte Baedecker. »Da war der See noch kleiner.«
    »Ach ja?« Scotts Stimme drückte kein Interesse aus. Er war acht Jahre nach dem Tod von Baedeckers Vater geboren worden und interessierte sich kaum für ihn oder seine Großmutter. Scotts andere Großeltern lebten beide noch fröhlich in einem Altenheim in Florida und verzogen den Jungen seit seiner Geburt.
    »Ich habe mir gedacht, morgen früh räumen wir die letzten Möbel raus und nehmen den Nachmittag frei. Mochtest du angeln gehen?«
    »Eigentlich nicht«, sagte Scott.
    Baedecker nickte und versuchte, sich seine plötzliche Aufwallung von Zorn nicht anmerken zu lassen. »Na gut«, sagte er. »Dann arbeiten wir nachmittags an der Einfahrt.«
    Scott zuckte die Achseln und sagte: »Werdet ihr, du und Mom, euch scheiden lassen?«
    Baedecker sah seinen zehnjährigen Sohn an. »Nein«, sagte er. »Wie, um alles in der Welt, kommst du darauf?«
    »Ihr mögt einander nicht«, sagte Scott immer noch gefaßt aber mit leicht bebender Stimme.
    »Das stimmt nicht«, sagte Baedecker. »Deine Mutter und ich lieben uns sehr. Warum sagst du so etwas, Scott?«
    Der Junge zuckte wieder die Achseln, dieselbe knappe Bewegung mit einer Schulter, die Baedecker schon so oft gesehen hatte, wenn Scott von einem Freund verletzt worden war oder bei einer einfachen Aufgabe versagt hatte. »Ich weiß nicht«, sagte er.
    »Du weißt, warum du es gesagt hast«, sagte Baedecker.
    »Verrate mir, wovon du sprichst.«
    Scott sah weg und schüttelte mit einer ruckartigen

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