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In der Schwebe

In der Schwebe

Titel: In der Schwebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Frühstück zu sich genommen und fuhren mit einem von Kink geliehenen Pritschenwagen in die Berge über Lonerock, um Feuerholz zu suchen.
    »Nein«, sagte Baedecker. »Jedenfalls nicht oft.«
    »Ich schon«, sagte Dave. »Selbstverständlich nicht über meinen eigenen, aber über das Prinzip.«
    »Was gibt es da nachzudenken?« sagte Baedecker. Dave bremste den Pritschenwagen vor einem kleinen Bach. Die Straße durch den Sunshine Canyon war von Schotter zu gestampfter Erde, zu Fahrspuren, schließlich zu einem undeutlichen Trampelpfad zwischen den Bäumen geworden. »Da gibt es eine ganze Menge nachzudenken«, sagte Dave. »Warum, wann, wo und am wichtigsten wie.«
    »Ich sehe nicht ein, warum das Wie so wichtig sein sollte«, sagte Baedecker.
    »Aber das ist es!« rief Dave aus. »Einer meiner wenigen Helden ist J. Seltzer Sherman. Schon von ihm gehört...«
    »Nein.«
    »Aber sicher. Sherman war Facharzt für Darmkrankheiten in Buffalo, New York, der 1965 schwere Depressionen bekam. Er sagte, er könne das Licht am Ende des Tunnels nicht mehr sehen. Er flog nach Arizona, kaufte einen Telefonmast, spitzte das Ende zu und schaffte ihn mit dem Maultier in den Grand Canyon runter. Daran mußt du dich erinnern.«
    »Nein.«
    »Stand doch in allen Zeitungen. Er hat zehn Stunden gebraucht, um runter zu gelangen. Er hat den Pfahl mit dem spitzen Ende nach oben eingegraben. Dann brauchte er noch einmal vierzehn Stunden, den Weg wieder zurückzugehen, zielte und sprang vom Südhang.«
    »Und?« sagte Baedecker.
    »Er hat ihn um soviel verfehlt«, sagte Dave und zeigte einen Zentimeter zwischen Daumen und Zeigefinger.
    »Ich nehme an, der Pfahl ist noch da, als Herausforderung«, sagte Baedecker.
    »Genau«, sagte Dave. »Und der alte J. Seltzer selbst sagt, daß er es eines Tages vielleicht noch einmal versuchen wird.«
    »Hm-hmm«, sagte Baedecker.
    »Als Di Sozialarbeiterin in Dallas war, hat sie viele jugendliche Selbstmordkandidaten gesehen«, sagte Dave.
    »Sie sagte, Jungs wären dabei viel zielstrebiger als Mädchen. Ihre Methoden sind endgültiger Gewehre, Aufhängen, solche Sachen. Mädchen neigen zu einer Überdosis Midol, nachdem sie ihre Freunde angerufen haben, um Lebewohl zu sagen. Di sagt, wenn sie es versuchen, sind sie fast immer erfolgreich.«
    »Klingt logisch«, sagte Baedecker. »Können wir ein bißchen langsamer machen? Diese Fahrt ist Gift für meine Nieren.«
    »Die beiden Männer, die ich am meisten bewunderte, haben sich mit Gewehren umgebracht«, sagte Dave. »Einer war Ernest Hemingway. Ich denke, das Warum war, daß er nicht mehr schreiben konnte. Das Wann war Juli '61. Das Wo war das Foyer seines Hauses in Ketchum, Idaho. Das Wie war die doppelläufige Boss-Schrotflinte, mit der er Tauben geschossen hatte. Er hat mit beiden Läufen auf seine Stirn gezielt.«
    »Mein Gott, Dave«, sagte Baedecker. »Der Morgen ist zu schön für so etwas.« Sie holperten eine Minute schweigend dahin. Die Straße verlief an einem bewaldeten Kamm entlang, von dem Baedecker nach unten sehen und Täler erkennen konnte. »Wer war der andere Mann, den du bewundert hast?« fragte er.
    »Mein Vater«, sagte Dave.
    »Ich wußte nicht, daß sich dein Vater umgebracht hat«, sagte Baedecker. »Hast du mir nicht einmal gesagt, er wäre an Krebs gestorben?«
    »Nein«, antwortete Dave. »Ich sagte, Krebs hat zu seinem Tod geführt. Und Alkohol. Und ständige Einsamkeit. Möchtest du seine Ranch sehen?«
    »Ist sie in der Nähe?« fragte Baedecker.
    »Etwa sechs Meilen nördlich«, sagte Dave. »Er und Mom haben sich scheiden lassen, als das noch nicht so in Mode gekommen war. Als ich noch ein kleiner Junge war, fuhr ich mit dem Zug von Tulsa hin und verbrachte den Sommer auf seiner Ranch. Er ist ein paar Meilen von Lonerock entfernt begraben.«
    »Darum hast du hier draußen ein Haus gekauft«, sagte Baedecker.
    »Darum kenne ich die Gegend so gut. Di und ich interessierten uns für Geisterstädte in Texas und Kalifornien. Als wir nach Salem kamen, zeigte ich ihr diesen Teil des Staates, und wir stellten fest, daß dieses Haus in Lonerock zum Verkauf stand.«
    »Und darum denkst du über Selbstmord nach?« sagte Baedecker. »Hemingway und dein Vater?«
    »Nee, mich interessiert das Thema einfach«, sagte Dave. »Wie Modelle bauen oder in Geisterstädten herumzustöbern.«
    »Aber du siehst keinen Bezug zu dir selbst?«
    »Überhaupt nicht«, sagte Dave. »Moment mal, das stimmt nicht ganz. Erinnerst du dich an die Mission,

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