In der Strafkolonie
also der Mann,« sagte der Reisende, lehnte sich im
Sessel zurück und kreuzte die Beine.
»Ja,« sagte der Offizier, schob ein wenig die Mütze zurück und
fuhr sich mit der Hand über das heiße Gesicht »nun hören Sie!
Sowohl das Bett als auch der Zeichner haben ihre eigene elektri-
sche Batterie; das Bett braucht sie für sich selbst, der Zeichner
für die Egge. Sobald der Mann festgeschnallt ist, wird das Bett in
Bewegung gesetzt. Es zittert in winzigen, sehr schnellen Zuckun-
gen gleichzeitig seitlich wie auch auf und ab. Sie werden ähnliche
Apparate in Heilanstalten gesehen haben; nur sind bei unserem
Bett alle Bewegungen genau berechnet; sie müssen nämlich pein-
lich auf die Bewegungen der Egge abgestimmt sein. Dieser Egge
aber ist die eigentliche Ausführung des Urteils überlassen.«
»Wie lautet denn das Urteil?« fragte der Reisende. »Sie wissen
auch das nicht?« sagte der Offizier erstaunt und biß sich auf die
Lippen: »Verzeihen Sie, wenn vielleicht meine Erklärungen un-
geordnet sind; ich bitte Sie sehr um Entschuldigung. Die Erklä-
rungen pflegte früher nämlich der Kommandant zu geben; der
neue Kommandant aber hat sich dieser Ehrenpflicht entzogen;
daß er jedoch einen so hohen Besuche — « der Reisende suchte
die Ehrung mit beiden Händen abzuwehren, aber der Offizier
bestand auf dem Ausdruck — »einen so hohen Besuch nicht
einmal von der Form unseres Urteils in Kenntnis setzt, ist wie-
der eine Neuerung, die — ,« er hatte einen Fluch auf den Lippen,
faßte sich aber und sagte nur: »Ich wurde nicht davon verstän-
digt, mich trifft nicht die Schuld. Übrigens bin ich allerdings am
besten befähigt, unsere Urteilsarten zu erklären, denn ich tra-
ge hier« — er schlug auf seine Brusttasche — »die betreffenden
Handzeichnungen des früheren Kommandanten.«
»Handzeichnungen des Kommandanten selbst?« fragte der
Reisende: »Hat er denn alles in sich vereinigt? War er Soldat,
Richter, Konstrukteur, Chemiker, Zeichner?«
»Jawohl,« sagte der Offizier kopfnickend, mit starrem, nach-
denklichem Blick. Dann sah er prüfend seine Hände an; sie
schienen ihm nicht rein genug, um die Zeichnungen anzufassen;
er ging daher zum Kübel und wusch sie nochmals. Dann zog er
eine kleine Ledermappe hervor und sagte: »Unser Urteil klingt
nicht streng. Dem Verurteilten wird das Gebot, das er übertreten
hat, mit der Egge auf den Leib geschrieben. Diesem Verurteilten
zum Beispiel« — der Offizier zeigte auf den Mann — »wird auf
den Leib geschrieben werden: Ehre deinen Vorgesetzten!«
Der Reisende sah flüchtig auf den Mann hin; er hielt, als der
Offizier auf ihn gezeigt hatte, den Kopf gesenkt und schien alle
Kraft des Gehörs anzuspannen, um etwas zu erfahren. Aber die
Bewegungen seiner wulstig aneinander gedrückten Lippen zeig-
ten offenbar, daß er nichts verstehen konnte. Der Reisende hatte
verschiedenes fragen wollen, fragte aber im Anblick des Mannes
nur: »Kennt er sein Urteil?« »Nein,« sagte der Offizier und wollte
gleich in seinen Erklärungen fortfahren, aber der Reisende un-
terbrach ihn: »Er kennt sein eigenes Urteil nicht?« »Nein«, sagte
der Offizier wieder, stockte dann einen Augenblick, als verlange
er vom Reisenden eine nähere Begründung seiner Frage, und
sagte dann: »Es wäre nutzlos, es ihm zu verkünden. Er erfährt
es ja auf seinem Leib.« Der Reisende wollte schon verstummen,
da fühlte er, wie der Verurteilte seinen Blick auf ihn richtete;
er schien zu fragen, ob er den geschilderten Vorgang billigen
könne. Darum beugte sich der Reisende, der sich bereits zurück-
gelehnt hatte, wieder vor und fragte noch: »Aber daß er über-
haupt verurteilt wurde, das weiß er doch?« »Auch nicht,« sagte
der Offizier und lächelte den Reisenden an, als erwarte er nun
von ihm noch einige sonderbare Eröffnungen. »Nein,« sagte der
Reisende und strich sich über die Stirn hin, »dann weiß also der
Mann auch jetzt noch nicht, wie seine Verteidigung aufgenom-
men wurde?« »Er hat keine Gelegenheit gehabt, sich zu verteidi-
gen,« sagte der Offizier und sah abseits, als rede er zu sich selbst
und wolle den Reisenden durch Erzählung dieser ihm selbstver-
ständlichen Dinge nicht beschämen. »Er muß doch Gelegenheit
gehabt haben, sich zu verteidigen,« sagte der Reisende und stand
vom Sessel auf.
Der Offizier erkannte, daß er in Gefahr war, in der Erklärung
des Apparates für lange Zeit aufgehalten zu
Weitere Kostenlose Bücher