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In der Südsee

Titel: In der Südsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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töricht diese Leute seien, Lasten über das Gebirge zu schleppen und die Nachbarn zu schädigen, da die Lebensmittel so dicht vor den Toren wüchsen. Um so mehr täuschte ich mich. Bei der allgemeinen Zerstörung reichten diese Bäume nur aus für die Familie des Eigentümers, und durch das einfache Mittel des Tabu erzwang er sein Recht.
    Die Heilighaltung des Tabu ist ein Aberglaube, die Strafe entweder Siechtum oder Tod. Eine schleichende Krankheit folgt dem Genuß von Tabufisch und kann nur geheilt werden durch die Gräten desselben Fisches, die unter allerlei Mysterien verbrannt werden müssen. Das Kokosnuß- und Brotfruchttabu wirkt schneller. Hat man beispielsweise Tabufrucht gegessen am Abend, so ist der Schlaf unruhig; morgens ist der Hals geschwollen und schwarz, und die Färbung dehnt sich nach oben zu bis auf das Gesicht aus. In zwei Tagen muß man sterben, wenn man sich nicht der Kur unterzieht. Das Heilmittel wird aus zerriebenen Blättern desBaumes bereitet, von dem der Kranke Früchte gestohlen hat, so daß er nicht gerettet werden kann, ohne dem Tahuku die Person zu nennen, die er schädigte. Mein Gewährsmann hatte fast nie Tabus in Kraft treten sehen, außer den beiden beschriebenen, er hatte also keine Gelegenheit, Natur und Wirkung der andern kennenzulernen, und da die Kunst der Anwendung von den alten Leuten eifersüchtig gehütet wurde, wird nach seiner Ansicht das Geheimnis bald aussterben. Ich muß hinzufügen, daß es kein Marquesaner, sondern ein Chinese war, der seit seiner Kindheit auf der Insel wohnte und ehrfürchtig an die Zauberei glaubte, die er beschrieb. Die Weißen, zu denen Ah Fu sich rechnete, waren unantastbar, aber er erzählte von einer Tahitierin, die zu den Marquesanern gekommen war, Tabufisch gegessen hatte und, obwohl über Schuld und Gefahr nicht unterrichtet, erkrankte und genau wie ein Eingeborener geheilt wurde.
    Zweifellos ist der Glaube stark; zweifellos ist er bei dieser weichen und phantasiebegabten Rasse in vielen Fällen stark genug, um zu töten; besonders stark aber bei denen, die ihre Bäume heimlich unter Tabu stellen, um einen Übeltäter an seiner Krankheit zu erkennen. Oder man muß vielleicht den Gedanken des versteckten Tabu anders auffassen, nämlich als schlaues Hilfsmittel, Angst zu erwecken und so Schuldbekenntnisse hervorzulocken. Wenn jemand krank wird, soll er sich den Kopf zerbrechen über die Möglichkeit eines Vergehens und sofort zu jedem Besitzer schicken, dessen Rechte er verletzt haben könnte. »Hattest du ein Tabu versteckt?« hören sie ihn gewissermaßen fragen, und ich kann mir nicht vorstellen, daß der Eigentümer es bestreitet. Unddas ist vielleicht das sonderbarste an diesem System, daß es äußerlich mit soviel naiver geistiger Ehrfurcht betrachtet wird und, wenn man es von innen her scharf prüft, so viele offenbare Anzeichen der Absichtlichkeit trägt.
    Wir lesen in Dr. Campbells Poenamo von einer jungen Neuseeländerin, der man törichterweise erzählte, sie habe Tabuyam gegessen, und die sofort erkrankte und innerhalb zweier Tage aus bloßer Furcht starb. Der Zeitraum ist derselbe wie bei den Marquesanern, die Symptome waren ohne Zweifel auch die gleichen. Wie sonderbar die Vorstellung, daß ein Aberglaube von solcher Gewalt möglicherweise wohlüberlegt eingeimpft wurde und daß, falls er ursprünglich auch nicht erfunden wurde, alle Einzelheiten offenbar von einer Art polynesischem Polizeipräsidium arrangiert worden sind. Erklärlicherweise ist der Glaube heute – und war es wahrscheinlich immer – durchaus nicht allgemein. Die Hölle ist bei uns daheim für manche ein starkes Abschreckungsmittel, für andere ein gleichgültiger Gedanke; wieder andere machen sich öffentlich darüber lustig, wenn sie auch ihrer Sache nicht ganz sicher sind, und so geht es auf den Marquesas mit dem Tabu. Mr. Regler hat beide Extreme des Skeptizismus und der naiven Furcht beobachtet. In dem Hain der Tabubäume entdeckte er einen jungen Burschen, der lachend und ohne Scheu wie ein Straßenjunge Brotfrucht stahl, und nur durch Androhung einer Anzeige ließ er sich etwas aus der Fassung bringen. Der andere Fall war in jeder Beziehung das genaue Gegenteil. Mr. Regler bat einen Eingeborenen, ihn auf einer Reise zu begleiten. Der Mann folgte frohgemut, aber plötzlichentdeckte er einen toten Tabufisch auf dem Boden des Bootes, sprang mit einem Schrei zurück und konnte selbst durch das Versprechen eines Dollars nicht veranlaßt werden

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