In der Südsee
Maß jener untertänigen Zuneigung, die den niederen Tieren eigen ist. Eines Tages sah ich beim Besuch der Schweineställe zu meinem Erstaunen, daß Catholicus sich mit Schreckensschreien vor jeder Annäherung zurückzog, und wenn ich über dieseVeränderung verwundert war, so erschrak ich tatsächlich, als ich die Ursache erfuhr. Eines der Schweine war an jenem Morgen geschlachtet worden, Catholicus hatte den Mord beobachtet, er hatte entdeckt, daß er zwischen Schlachtbänken lebte, und von dieser Zeit waren Vertrauen und Lebenslust dahin. Wir verschonten ihn noch eine ganze Weile, aber er konnte den Anblick zweibeiniger Wesen nicht mehr ertragen, und wir unsererseits konnten unter diesen Umständen nicht ohne Verwirrung seinen Blicken begegnen. Ich habe übrigens dem Akt des Schlachtens in Hörweite beigewohnt; ich glaube, ich hätte vielleicht die Schmerzensschreie des Opfers ertragen, aber die Hinrichtung ging nicht glatt vonstatten, und der Ausdruck seines Entsetzens wirkte ansteckend: dies kleine Herz schlug nach derselben Melodie wie das unsere. Auf solchen »Fundamenten des Schreckens« ruht das Leben des Europäers, und doch gehört der Europäer zu den weniger grausamen Rassen. Die Schreckenskammer des Mordes, die brutale Zurichtung der Nahrung wird den Blicken verborgen; äußerste Empfindlichkeit herrscht an der Oberfläche, und Damen fallen in Ohnmacht, wenn man ihnen einen Bruchteil dessen schildert, was sie von ihren Metzgern täglich verlangen. Menschen werden sich in ihrem Innersten auch gegen mich empören wegen der Roheit meiner Worte. Und so steht es um die Inselkannibalen. Sie waren nicht grausam; abgesehen von dieser Sitte sind sie eine der liebenswürdigsten Menschenrassen; geradeheraus gesagt ist es weit weniger hassenswert, das Fleisch eines Menschen nach seinem Tode zu essen, als ihn zu Lebzeiten zu unterjochen, und selbst die Opfer ihres Appetits wurden imLeben nachsichtig behandelt und schließlich rasch und schmerzlos ins Jenseits befördert. In vornehmen Insulanerkreisen galt es ohne Zweifel als geschmacklos, bei dem, was widerwärtig war an dieser Sitte, länger zu verweilen.
Kannibalismus läßt sich von einem Ende des Pazifischen Ozeans bis zum andern nachweisen, von den Marquesas bis Neuguinea, von Neuseeland bis Hawaii, bald in vollster Blüte, bald in geringen, aber charakteristischen Überbleibseln. In Hawaii ist er am zweifelhaftesten. Wir finden Kannibalismus in hawaiischen Chroniken nur einmal in der Geschichte eines Krieges verzeichnet, scheinbar für eine Ausnahme gehalten, wie etwa bei jenen Verbrechern aus den Gebirgen, die durch die Hand des Theseus fielen. In Tahiti hat sich ein einziger Beweis erhalten, aber er scheint schlußkräftig zu sein. In historischen Zeiten bot man, wenn Menschenopfer in den Tempeln dargebracht wurden, die Augen des Getöteten in aller Form dem Häuptling an: eine Delikatesse für den vornehmen Gast. Ganz Melanesien scheint verseucht. In Mikronesien, auf den Marschallinseln, die ich nur als Tourist kenne, konnte ich nicht die geringste Spur finden, und selbst in der Gilbertzone habe ich lange vergeblich geforscht und nachgefragt. Man erzählte mir allerdings Geschichten von Menschen, die während einer Hungersnot verspeist worden seien, aber das besagt nichts für mich, denn ähnliche Dinge geschahen unter demselben Druck bei allen Rassen und Generationen. Schließlich traf ich in einigen handschriftlichen Aufzeichnungen von Dr. Turner, die man mir in Malua einzusehen gestattete, auf einen vernichtendenBeweis: auf der Insel Onoatoa war die Strafe für Diebstahl, getötet und gegessen zu werden. Wie können wir diesen allgemeinen Brauch in einem so großen Gebiet erklären, unter Völkern so verschiedener Zivilisation und, trotz aller Vermischung, so verschiedenen Blutes? Welche Lebensbedingung war ihnen allen gemeinsam außer der, daß sie auf Inseln lebten, die keine oder nur geringe Fleischnahrung boten? Ich kann aus meinem Appetit nur schließen, daß es dem Menschen nicht bestimmt ist, nur von Pflanzenkost zu leben. Wenn unsere Vorräte auf den Inseln abnahmen, sehnte ich mich nach dem Tage, da die Sparsamkeit uns erlaubte, wieder einmal eine Büchse minderwertigen Hammelfleisches zu öffnen. Und in mindestens einer ozeanischen Sprache gibt es ein besonderes Wort für den Zustand, wenn der Mensch »hungrig auf Fisch« ist, Gemüse ihm nicht mehr genügen und seine Seele wie die der Hebräer in der Wüste sich nach Fleischtöpfen sehnt.
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