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In der Südsee

Titel: In der Südsee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Louis Stevenson
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wegen seiner Eigenartigkeit. Zwei Männer hatten das Mißfallen der Jaluithäuptlinge erregt, und ihre Frauen wurden zur Bestrafung herangezogen. Ein einzelner Eingeborener vollzog die Hinrichtung. Am frühen Morgen watete er angesichts einer großen Menschenmenge zwischen seinen Opfern hinaus zu den Riffen. Die Frauen klagten und sträubten sich nicht, begleiteten geduldig ihren Henker, tauchten auf seinen Befehl unter, als sie tief genug hineingelangt waren, er legte seine Hand auf die Schultern der beiden und hielt sie unter Wasser, bis sie ertrunken waren. Ohne Zweifel standen ihre Familien laut wehklagend am Ufer, obgleich mein Gewährsmann mir nichts darüber berichtete.
    Von Hatiheu aus besuchte ich zum erstenmal einen Hochsitz des Kannibalismus.
    Der Tag war schwül und trübe. Heftige Tropenschauer wechselten mit glühendem Sonnenschein. Der grüne Fußpfad wand sich steil aufwärts. Unser kleiner Führer, ein Schuljunge, ging etwas voraus, und Pater Simeon hatte sein Skizzenbuch in der Hand, benannte die Bäume für mich und las mir aus seinen Notizen laut ihre Hauptvorzüge vor. Plötzlich bot der ansteigende Weg einen freieren Ausblick in das Tal von Hatiheu, und der Priester deutete, indem er denFührer gelegentlich fragte, die Grenzlinien an und nannte mir die Namen der größeren Stämme, die früher in ewigem Kriege miteinander lagen: einer wohnte im Nordosten, ein anderer am Strand, der dritte dahinten auf den Bergen. Mit einem Überlebenden des letzteren hatte Pater Simeon gesprochen: bis zum Friedensschluß war er nie bis zur Meeresküste gekommen und hatte, wenn ich mich recht erinnere, niemals Seefische gegessen. Die Stämme lebten abgeschlossen für sich in ihrem Distrikt, eingepfercht und belagert. Kam eine Hungersnot, so mußten die Männer in die Wälder gehen, um Kastanien und kleine Früchte zu sammeln; selbst heute noch müssen die Schulen geschlossen und die Schüler zum Proviantieren ausgesandt werden, wenn die Eltern mit ihren wöchentlichen Abgaben im Rückstand sind. Aber in alten Zeiten herrschte bei allen Nachbarn höchste Tätigkeit, wenn ein Stamm in Schwierigkeiten war, man legte überall in den Wäldern Hinterhalte, und wer für sich selbst Früchte sammeln wollte, konnte schließlich als Braten für seine Erbfeinde enden. Es bedurfte nicht einmal einer besonderen Veranlassung. Ein Dutzend verschiedener Naturanzeichen und sozialer Ereignisse trieben dies Volk auf den Kriegspfad und zur Menschenjagd. Mochte jemand von Häuptlingsrang seine Tätowierung beendet haben, das Weib eines anderen sich ihrer Niederkunft nähern, zwei der Bergströme ihr Bett näher zur Bucht von Hatiheu verlegt haben, der Gesang eines gewissen Vogels gehört, eine bestimmte bedeutungsvolle Wolkenbildung über der nördlichen See beobachtet worden sein: sofort wurden die Waffen geölt, und die Menschenjäger schwärmten durch denWald und legten ihre Fallen für den Brudermord. Es scheint auch, daß sich der Priester bisweilen, vielleicht bei einer Hungersnot, in sein Haus einschloß, wo er eine bestimmte Zeit wie tot dalag. Kam er wieder zum Vorschein, so rannte er drei Tage lang nackt und ausgehungert durch das Gebiet des Stammes und schlief nachts allein auf dem Hochsitz. Dann mußten die andern das Haus hüten, denn es bedeutete Tod, dem Priester auf seinen Runden zu begegnen. Am Abend des vierten Tages war der Lauf zu Ende, der Priester kehrte zu seiner Wohnung zurück, das Volk erschien wieder, und am Morgen wurde die Zahl der Opfer verkündet. Ich kann diese Erzählung von dem Priester nur auf eine Autorität – ich glaube, eine gute – zurückführen. Die Einzelheiten sind so sonderbar, daß ich annehme, man hätte sie öfter erwähnen müssen, wenn sie wahr wären. Über einen Punkt scheint kein Zweifel: die Festessen wurden manchmal mit Material aus dem eigenen Stamm bestritten. In Zeiten des Mangels hatten alle, die nicht durch Familienbeziehungen geschützt waren – nach einem schottischen Hochlandsausdruck alle Gemeinen der Sippe – Ursache zu zittern. Widerstand oder Flucht waren vergeblich und fruchtlos. Sie waren auf allen Seiten von Kannibalen eingeschlossen, und der Bratofen stand bereit für sie draußen im Lande der Feinde oder zu Hause im Tal ihrer Väter.
    An einer bestimmten Ecke des Weges bog unser jugendlicher Führer zur Linken ab in die Dämmerung des Waldes. Wir befanden uns nun auf einem der uralten Eingeborenenpfade, eingebettet in hohe Waldgewölbe, scheinbar ziellos

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