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In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

In die Nacht hinein: Roman (German Edition)

Titel: In die Nacht hinein: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Cunningham
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Autor, Regisseur und Hauptdarsteller bei einem von Kindern aus der Nachbarschaft produzierten Theaterstück mit Musik namens Mann über Bord , bei dem ihre Mutter Tränen lachte. Von Anfang an zog Matthew sämtliche Moleküle an Exzentrizität und Talent an sich, die sich in irgendwelche Winkel des Hauses verirrt haben mochten; überall, wo Matthew nicht war, waren nur dunkle Möbel, tickende Uhren und alte Spardosen, die ihre Mutter schon sammelte, bevor sie ihren Vater kennenlernte.
    Was Peter jedoch am meisten ärgerte, war Matthews arglose und ungetrübte Zuneigung zu ihm. Matthew, so schien es, hielt Peter für eine Art Haustier, erziehbar, aber nur begrenzt. Man kann einem Hund beibringen zu sitzen, zu apportieren und dazubleiben; es wäre albern, ihm Schach beibringen zu wollen. Als Peter gerade laufen konnte, machte Matthew Kostüme für ihn und führte ihn damit herum. Peter kann sich nicht mehr daran erinnern, aber es gibt Fotos davon: der kleine Peter in einem Bienenanzug mit Taucherbrille und Fühlern, in einer Kissenbezug-Toga mit einem Efeukranz, der ihm über die Augen gerutscht ist. Als Peter ein bisschen älter war (er kann sich verschwommen daran erinnern), erfand Matthew ein Alter ego für ihn: Giles, der Diener, der trotz niederer Herkunft entschlossen war, es durch harte Arbeit zu etwas zu bringen, was normalerweise bedeutete, dass er sein und Matthews Zimmer in Ordnung hielt, Hausarbeiten für seine Mutter übernahm und Besorgungen für Matthew erledigte.
    Was Peter am erschreckendsten fand: Er war gern Giles. Er erfüllte gern maßvolle Erwartungen. Er machte sich pedantisch und voller Genugtuung an die ihm zugewiesenen Aufgaben und glaubte tatsächlich, er würde es zu etwas bringen (was?), wenn er fröhlich und ohne sich zu beklagen gehorchte. Es wäre sogar möglich, auch wenn er sich nicht recht erinnern kann, dass der Diener Giles von Anfang an seine Idee war.
    Erst als er sieben wurde, begriff er allmählich, dass er das niederste Mitglied des Haushalts war, es immer schon gewesen war. Er war der Zuverlässige, der Gewöhnliche, der Junge, der gut genug war.
    Der versuchte Mord fand unverhofft an einem strahlenden, kalten Tag im März statt. Peter kauerte auf dem mit Steinplatten ausgelegten Patio im winterbraunen hinteren Garten, eine kleine Gestalt in einer rotkarierten Jacke unter einem eisblauen Himmel. Er hatte sich unerlaubterweise einen Schraubenzieher seines Vaters aus der Garage geholt, um unbeaufsichtigt an dem Geschenk zu arbeiten, das er seiner Mutter zum Geburtstag basteln wollte: ein Vogelhaus aus einem Bausatz. Er war zuversichtlich, aber beunruhigt. Er hatte den Verdacht, dass seine Mutter kein Vogelhaus wollte (sie hatte nie ein Interesse an Vögeln bekundet), aber er war mit seinem Vater im Hobbyladen gewesen und hatte die Schachtel gesehen, auf der ein perfektes kleines Giebelhaus auf einem helltürkisen Feld abgebildet war, umgeben von fröhlichen Kardinälen, Rotkehlchen und Finken. Es kam Peter wie die Vision einer himmlischen Belohnung vor, und er stellte sich vor – er war regelrecht davon hingerissen -, dass er dieses Stückchen Perfektion seiner Mutter überreichen könnte und sowohl er als auch sie dadurch verändert werden würden, er in einen Jungen, der ihre geheimen Sehnsüchte erraten konnte, und sie zu jemandem, der inbrünstig das wollte, was er zu geben hatte. Peters Vater runzelte die Stirn, denn das Vogelhäuschen war für Kinder gedacht, die zehn oder älter waren, und bevor er sich dazu bereit erklärte, es zu kaufen, rang er Peter das Versprechen ab, dass sie beide es gemeinsam bauen würden.
    Ein Gelöbnis, das Peter missachtete, sobald er allein daheim war. Er musste etwas Wunderbares herstellen, mit seinen eigenen Händen. Seine Mutter würde vor Freude in Tränen ausbrechen, und seinVater würde bedächtig und gerührt nicken – sieh mal einer an, unserer jüngerer Sohn ist viel tüchtiger, als wir dachten.
    Natürlich stellte sich heraus, dass das Vogelhaus, als es aus dem Karton genommen wurde, aus mattbraunem Pressspan bestand. Dazu gab es genau die erforderliche Anzahl von silbernen Schrauben, eine einseitige, auf hellgrünes Papier gedruckte Bauanleitung und – irgendwie am entmutigendsten von allem – eine kleine Zellophantüte mit Vogelfutter.
    Als er über den Einzelteilen kauerte, die er auf den Steinplatten ausgebreitet hatte, bemühte Peter sich, seinen Optimismus zu behalten. Er würde es mit leuchtenden Farben bemalen. Er

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